...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, Matthäus 6,12b

Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts tobten um den Bau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens über viele Jahre heftige, teils auch gewalttätige Auseinandersetzungen. Eine starke Protestbewegung wollte die Erweiterung des Flughafens verhindern, die hessische Polizei, oft unterstützt von Polizeien anderer Bundesländer und des Bundes war pausenlos im Einsatz, um die Baumaßnahmen zu ermöglichen und zu schützen.

Die Startbahn wurde trotz der Widerstände fertiggestellt und im Jahr 1984 eröffnet.

Drei Jahre später gab es immer noch große Demonstrationen, denen mit nicht minder großen  Polizeiaufgeboten begegnet wurde. So auch am 2. November 1987. Unter anderem taten die beiden hessischen Polizisten Schwalm und Eichhöfer an diesem Tage Dienst. Polizeihauptmeister Thorsten Schwalm war 23 Jahre alt, ledig und in einer Einheit der Bereitschaftspolizei eingesetzt. Polizeihauptkommissar Klaus Eichhöfer, 43 Jahre alt, verheiratet, war Einsatzführer einer Hundertschaft  der Bereitschaftspolizei. Ein Einsatz wie viele andere an der Startbahn West, bis plötzlich aus den Reihen der Demonstranten Schüsse fielen. Andreas Eichler, ein 33jähriger Linksradikaler hatte aus einer Pistole 14 Schüsse auf die Polizisten abgefeuert, Thorsten Schwalm und Klaus Eichhöfer wurden tödlich getroffen.

Zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik waren Polizisten im Einsatz vorsätzlich getötet worden. Die Proteste an der Startbahn West wurden durch dieses Ereignis sofort und für immer beendet.

Andreas Eichler wurde alsbald gefasst und 1991 wegen Totschlags in zwei Fällen zur Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Zwanzig Jahre später, am Freitag dem 2. November 2007, habe ich als Polizeipräsident den damaligen Innenminister Volker Bouffier zu einer Gedenkfeier an das Grab von Thorsten Schwalm in Willingshausen-Wasenberg begleitet. Es war eine bewusst kleine Runde zusammengekommen: Die Eltern des erschossenen Polizisten, Sieglinde und Walter Schwalm, der Minister, der Polizeipfarrer und ich. Polizeipfarrer Grützner hielt am Grab eine kurze Andacht, die uns alle ergriffen hat. Danach lud der Minister die Anwesenden in ein Café in das nahegelegene Treysa ein, wo wir die Ereignisse nochmals Revue passieren ließen.

Vom Café aus nahm ich die Eltern von Thorsten Schalm, die im Auto des Ministers nach Treysa gefahren waren, in meinem Dienstwagen mit zurück nach Wasenberg zu ihrem Auto. Auf der Fahrt fragte mich Frau Schwalm unvermittelt, ob ich denn wisse, was aus Andreas Eichler geworden war. Ich antwortete, dass mir lediglich bekannt sei, dass er nach Verbüßung des größten Teils seiner Strafe vorzeitig aus der Haft entlassen worden war.

„Wissen Sie“, fährt Frau Schwalm fort, „mein Mann und ich haben mehrfach versucht, mit Andreas Eichler in Kontakt zu kommen und haben ihm geschrieben. Er war ja doch noch jung.“ Und dann fügt die Mutter des Getöteten einen Satz an, der mir unvergessen ist:

„Schade“, sagt sie, „es ist so schade, dass er uns nicht geantwortet hat. Wir hätten ihm doch helfen können.“

Wilfried Henning, Polizeipräsident a.D.