Der Weg als Ziel

50-köpfige Pilgergruppe startete ihre erste Jakobsweg-Etappe

Fränkischer Anzeiger vom 14.08.2009

ROTHENBURG/OHRENBACH – Im Mittelalter gingen die Menschen den Jakobsweg auf der Suche nach einer Wunderheilung oder damit Gott ihnen ihre Sünden vergibt. Eine Jakobspilgerschaft zählte so viel wie die Teilnahme an einem Kreuzzug. Heute sind die Motive so verschieden wie die Pilger. Nur das Ziel ist dasselbe: Santiago de Compostela. Eine 50-köpfige Gruppe machte kürzlich auf ihrer ersten Etappe in Ohrenbach und Rothenburg Station.

Ich bin dann mal weg – so einfach wie bei dem prominenten Trendsetter Hape Kerkeling geht es allerdings nicht. Das Buch des Fernsehstars über seine Reise auf dem Jakobsweg ist mit einer Auflage von 2,7 Millionen das bisher meistverkaufte deutsche Sachbuch. Pilger eifern ihm in Scharen nach. Das Beten mit den Füßen ist zum Volkssport geworden, bietet aber immer noch Besinnlichkeit, berührende Begegnungen und das Miteinander in einer Gemeinschaft, wie man sie sonst selten erlebt.

Der Jakobsweg ist neben den Strecken nach Rom und Jerusalem eine der großen Pilgerrouten der Christenheit. Auf einigen der Steine des Weges sind schon im Mittelalter Wanderer gelaufen. Von Deutschland, den Niederlanden oder Italien gibt es noch Wege bis Spanien, die sich alle auf dem „Camino francés“ bei Puente la Reina treffen, der Hauptroute der Jakobspilger.

Während Hape Kerkeling die letzten 760 Kilometer des Jakobswegs in Spanien lief, wollen die Pilger der evangelischen Kirchengemeinde im hessischen Baunatal, denen sich Menschen aus Tübingen, Köln, Dortmund, Halle, Hofgeismar und Uffenheim angeschlossen haben, 2500 Kilometer schaffen. Nicht am Stück, sondern in sieben Jahresetappen. Neben dem Ziel, es bis zum Grab des Apostels Jakob in Santiago de Compostela zu schaffen, steht der Ehrgeiz, dass alle Mitwanderer bis 2015 dabei bleiben.

Pfarrer Günter Törner, der auch schon den Elisabethenweg von Eisenach bis Marburg unter die Füße genommen hat, organisiert die Pilgertour zusammen mit seiner Kollegin Uda Weidt. Mit fünfzig Jugendlichen und Erwachsenen – mit und ohne Konfession – im Alter von 14 bis 73 Jahren wollen sie in acht Tagen 190 Kilometer zu Fuß zurücklegen. Die Wanderer praktizieren unterwegs das Leben als Gemeinschaft und sind dabei auf der Suche nach sich selbst – durch Meditation, Gebet und innere Einkehr.

Rituale spielen dabei eine wichtige Rolle als ganz besondere Momente im Ablauf des Beliebigen und Alltäglichen, wenn es darum geht, das Bedürfnis, das Unterwegssein, unter den Segen Gottes zu stellen. Allerdings erschließt sich das Wesen des Rituals, es geht dabei nicht nur um religiöse Formen im Gottesdienst, sondern auch um menschliches Handelns, nicht von außen. Erst wenn man den Ablauf mitvollzieht und darin eintaucht, entfaltet es seine Wirkung.

Die Strapazen der langen Märsche und das Leben auf engstem Raum mit einfachen Mitteln sind eine tägliche Herausforderung. Neben Blasen an den Füßen müssen auch andere Situationen gemeistert werden. Etwa wenn morgens für fünfzig Leute nur eine Toilette und ein Waschbecken zur Verfügung stehen, denn übernachtet wird auf Schlafmatten in Gemeindehäusern, Kirchen oder unter freiem Himmel. Am Anfang ist die Motivation, neue Erfahrungen zu sammeln und die eigenen Grenzen zu entdecken. Das Gefühl, angekommen zu sein, soll folgen. Dazwischen liegt der Weg.

Die Gruppe war am vergangenen Samstag in Würzburg gestartet und will es zum Wochenende bis Heubach am Rande des Remstals schaffen. Die Teilnehmer zahlen 110 beziehungsweise 150 Euro samt Verpflegung für die erste Etappe der Pilgertour. Mit Unterstützung der Gastgeber können die Kosten niedrig gehalten werden, denn es geht auch um die Erfahrung, dass einfach leben nicht einfach ist.

Begleitet von der Jakobsmuschel als Erkennungszeichen der Pilger und einem aus Ästen selbstgebauten Kreuz, gehen die Pilger schweigend oder tauschen sich aus und feiern jeden Abend an ihren Stationen einen Dankgottesdienst mit Abendmahl, zu dem sie auch die Gemeinden einladen, in denen sie ihr Nachtlager aufschlagen.

Ein Jahr vorher hatten die Organisatoren bereits erste Kontakte geknüpft – auch zu der Kirchengemeinde in Ohrenbach und zu St. Jakob in Rothenburg. In Ohrenbach erlebten die Jakobspilger eine große Gastfreundschaft. Beim Eintreffen wurden sie von Pfarrer Karl-Heinz Gisbertz und Bürgermeister Robert Karr sowie Mitgliedern des Kirchenvorstandes herzlich begrüßt. Nach einem feierlichen Abendmahlsgottesdienst durften sich die Wanderer am neuen Grill- und Rastplatz der Gemeinde stärken. Ein Team aus den Kirchenvorständen verwöhnte die Gäste mit einem reichhaltigen Abendessen.

Im Gemeindehaus war ein „Raum der Stille“ für jene eingerichtet, die nach einem anstrengenden Tag mit 27 Kilometer Fußmarsch ihre Ruhe haben wollten. Nach und nach fand jeder seinen Schlafplatz: Im Gemeindesaal oder im Jungschar-Raum, in der Kirche vor dem Altar oder auf der Empore. Ein Gastwirt hatte auch seinen Saal zur Verfügung gestellt.

Am nächsten Morgen waren die Ohrenbacher Gastgeber wieder auf den Beinen, um für das Frühstück beziehungsweise den Proviant für die Wanderung nach Rothenburg zu sorgen. Zur Verabschiedung gab es einen großen Kreis vor dem Gemeindehaus. Pfarrer Günter Törner dankte den Ohrenbachern herzlich für die Gastfreundschaft: „Für uns ist Ohrenbach die Gemeinde des Jahres 2009.“ Er lud die Kirchengemeinde zu einem Gegenbesuch nach Baunatal ein, „damit wir die Gelegenheit haben, uns zu revanchieren.“

Singend verließen die Jakobspilger Ohrenbach und bogen auf die Ortsverbindungsstraße Richtung Endsee ab. Bürgermeister, Kirchenvorsteher und Pfarrer waren sich einig: „Die Bewirtung dieser großen Gruppe hat uns viel Arbeit gemacht, aber die Begegnung mit diesen begeisterten Menschen hat uns auch viel gegeben."

In Rothenburg waren die Jakobspilger weitgehend auf sich allein gestellt. In der Stadt, die mehr auf internationale Touristen als auf bescheiden lebende Pilger setzt, so Pfarrer Günter Törner, war es für die große Gruppe schwierig, einen günstigen Schlafplatz zu bekommen. Das Wildbad hatte auf seine Anfrage tausend Euro verlangt, wie er sagte. Schließlich durften die Gäste kostenlos im Gemeindehaus St. Jakob auf dem Fußboden schlafen und die Sanitäranlagen benutzen. In der Küche konnten sich die Jakobspilger ihr mitgebrachtes Dosengulasch aufwärmen. Den Abendgottesdienst feierten sie in der Franziskanerkirche. Die Jakobskirche blieb ihnen verschlossen. Wegen der Urlaubszeit, Touristenpfarrer Oliver Gußmann war aus familiären Gründen verhindert, schickte die Kirchengemeinde schließlich den pensionierten Pfarrer Hartmut Köhn zu einer kurzen Begrüßungsansprache in die Franziskanerkirche zusammen mit Mesnerin Maria Coras.

Ohne ein Wort des Abschieds verließ die Gruppe am nächsten Morgen die Stadt. Das Frühstück hatte sie selbst organisiert und beim Weggang noch die Räumlichkeiten gereinigt. Von Rothenburg aus ging es weiter nach Gründelhardt bei Crailsheim.

Ab nächstem Jahr sind die weiteren Etappenziele auf dem Weg zu den Reliquien des Apostels Jakobus dann Konstanz, Genf, Lyon, Roncesvalles und die letzten 760 Kilometer in zwei Abschnitten bis Santiago. Ab 2011 will man jeweils zwei Wochen laufen. Ob es bei den Stationen bleibt, wird sich zeigen, sagt Günter Törner. Das hänge vom Schwierigkeitsgrad jeder Strecke und vor allem davon ab, ob man Quartiere finde. (sis)