Mein Lieblingssatz im Vater unser ist: Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Ich mag diesen Satz, weil er Demut ausdrückt. Aber eine, hinter der ich nicht verschwinde. Sondern eine, in in der es nicht zuerst, aber eben auch auf meinen Willen ankommt. Mein Wille also sei: Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

Wir Christen erinnern uns an das Ölberg-Gespräch von Jesus: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“ Der Weg zur Erlösung führt durch das Absehen von mir selbst, er führt durch die Bereitschaft zum Hinhören, durch die Hingabe, durch die Selbst-Hingabe. Und damit zu einem höheren, zum wahren Frieden mit mir selbst.

Die ganze Bibel ist eine einzige Illustration dieses Geheimnisses im Ringen Gottes um seine mit Freiheit beschenkten Menschen. Ihm kommt es der Bibel zufolge auf uns an, darauf, unseren - freien – Willen zu gewinnen. Unser Weg zum  Heil, zum Frieden führt durch jenes Vertrauen, das im „Dein Wille geschehe“ zum Ausdruck kommt. Rückhaltlos und radikal. Ostern geht nur mit Karfreitag, Himmelfahrt nur mit dem Kreuz. Denken wir etwa an Abraham und Isaak, an Hiob oder auch an die vielen „Ichs“ der Psalmen, die alle auf Gott vertrauen, auf ihn hören, auf ihn hoffen, die ihn bitten, anflehen, ihn loben, sich nach ihm ausstrecken – und die ihren Frieden schließlich in ihm, durch ihn und mit ihm finden. So etwa auch im 40. Psalm, wo es heißt: „Es ist meine Freude, mein Gott, deinen Willen zu tun; in meinem Innersten ist deine Weisung.“ Hiob findet seinen Frieden mit Gott, als er endlich sich selbst annimmt.

Was ist Gottes Wille? Da scheinen wir immer öfter eine Empfangsstörung zu haben. Ein Rauschen, Piepsen, Knacksen wie früher vorm Kurzwellen-Empfänger. Der gehört zu den vielen Dingen, die wir aus unserem Leben wegoptimiert haben. Mit der Kurzwelle haben wir aber auch – zumindest soweit es die Radioerfahrung meiner Generation noch betrifft – etwas verloren, die Älteren werden sich erinnern: diese zuweilen bizarre Mischung von Melodien und Stimmen aus weitesten Fernen, chaotisch durchweht von Nacht und Äther, an- und abschwellend durch Gewitter weit draußen über dem Atlantik oder sonstwo in unverfügbarer Ferne. Gerade in diesem nicht von uns Gesuchten, in den Zwischenräumen des Beabsichtigten, blieb viel Raum für uns und unsere Phantasie, anders als bei jenen Geräten, die einfach nur tun, was sie sollen.

Natürlich haben wir unseren Alltag damals genauso wenig oder viel wie heute damit verbracht, Gott zu suchen und zu empfangen. Und vielleicht wird auch einmal einer in vierzig Jahren hier stehen und mit großen Augen sagen: In den Tiefen unserer Smartphones, da wohnte damals ein großes Geheimnis. Ja, werden dann die Alten denken und mit den Köpfen wackeln. Entschuldigen Sie bitte meinen Unernst.

Ich habe Ihnen dies vor Augen gestellt, um sie zu erheitern und zu trösten, aber auch, um sie vor allzu schneller Zustimmung zurückzuhalten. Das Sprechen von Gott muss einen nicht depressiv machen. Das Nachdenken darüber, wo wir wohl seine Stimme und seinen Willen erkennen können, auch nicht. Ich vermute, dass wir Gott sowieso in allen Dingen erkennen können. Auch hier und jetzt, auch schon wenn wir uns anschauen und uns aufeinander einlassen.

Ich glaube, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen unseren kleinen und großen Erfolgen und gewissen Empfangsstörungen, was Gottes Stimme betrifft. Ich denke, es ist ähnlich mit dem, was Jesus meint, wenn er sagt: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Wohlbemerkt: Reich ist einer, der mehr hortet, als er braucht. Es geht nicht darum, dass einer an die Arbeit geht und Ärger mit den Nachbarn vermeidet. Dass einer auf den Urlaub spart und sich ihn schließlich auch leisten kann.

Es geht um die Ausschließlichkeit, mit der wir oft unsere Ziele verfolgen, das Übertriebene, was darin liegen kann, das Unnötige, das Verschlossene für alles andere und das Selbstverliebte, eben das Mein Wille geschehe, statt Dein Wille geschehe.

Wo wir in diesem Sinne Erfolg haben und herrschen, wo wir die Dinge nach unserer Vorstellung zum Funktionieren bringen, da vernehmen wir Gottes Stimme wahrscheinlich am leisesten, wenn überhaupt noch. Da haben wir so viel mit uns selbst zu tun, dass für das Unverfügbare wenig Raum bleibt. Genau genommen sind wir gerade darin sehr erfolgreich: das Unverfügbare verfügbar zu machen. Leere Räume mit Plänen, Erfolg, Ordnung und unserem Willen zu verfüllen.

Aber das ätherische Rauschen, Piepsen und Knacksen gibt es auch heute immer noch. Gegen unser großes, dickes, zufriedenes Selbst stehen Krankheit, Scheitern, Misserfolg und letztlich auch der Tod. Wir sprechen nicht gern darüber, weil – was sollen wir sagen? Der Junge hat die Lehrstelle nicht gekriegt? Meine Ehe ist gescheitert? Ich habe den Abschluss nicht geschafft? Ich bin schwer krank? Ich habe Angst? Wir üben und messen uns unablässig im Hinbekommen und Machen. Im Zulassen dagegen staksen wir unbeholfen herum wie blinde Schlittschuhläufer nachts im Sommerwald. Das können wir nicht.

Dabei kann gerade ein bisschen mehr Offenheit für Andere, für Neues und Unbekanntes so wohltuend sein. Dabei kann gerade im vermeintlichen Scheitern so viel Chance liegen. Auch in Krankheit und Beschwernis und Unglück. Auch wenn es sehr unkorrekt ist, so etwas heute zu sagen Es kennzeichnet unsere Zeit, dass wir die Übel weiter aus unserem Leben gedrängt haben als alle Generationen zuvor. Deswegen aber auch sind wir im Umgang mit ihnen so entsetzlich unbeholfen geworden und möchten am liebsten allein schon den Gedanken daran verbieten. Der große britische Autor C.S. Lewis hat 1940 in seinem auch heute noch lesenwerten Buch über den Schmerz geschrieben: Der Schmerz ist das Megaphon Gottes, das Banner der Wahrheit, aufgepflanzt mitten in der Burg der Aufständischen. Jedenfalls könne der Schmerz unsere übliche Selbstgenügsamkeit zerstören.

Der menschliche Wille, schreibt Lewis weiter, werde erst dann wahrhaft schöpferisch und wahrhaft unser eigen, wenn er ganz Gott gehöre. Das sei auch damit gemeint, wenn es im Johannes-Evangelium (12,25) heißt: „Wer an seinem Leben hängt, verliert es. Und wer es gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“

Es liegt mir fern, Leid zu verherrlichen. Leid kann fürchterlich sinnlos sein, nur quälend, unverständlich. Aber dennoch hat Lewis meiner Erfahrung nach Recht damit, wenn er das Leid als Einfallstor Gottes in unsere Selbstverständlichkeiten bezeichnet.

Das wirklich Gute, auch das ist meine Erfahrung, das machen wir nicht selbst. Das wird uns geschenkt. Zulassen ist viel schwieriger als Machen.

Dein Wille geschehe –  das ist für mich eine Haltung. Das ist Offenheit für Sein unverfügbares, großes Geheimnis. Das ist Dank statt Anspruch.

In der Stille fühle ich mich Gott nah. Und – lachen Sie nicht – oft auch dann, wenn irgendwas nicht klappt wie geplant. Zum Beispiel auch, wenn mir gerade eine Bahn vor der Nase weggefahren ist. Was selbstverständlich nichts mit Gott zu tun haben muss. Aber wieder einmal ein paar Minuten eröffnet, mich ganz und nur nach ihm auszustrecken. Das Vater unser gehört dazu. Amen.

Dr. Tibor Pézsa,
Leiter Nachrichtenredaktion HNA