AUF DEM WEG NACH SANTIAGO DE COMPOSTELA (V)

Menschen auf dem Weg

Heinz Arend, Uwe Arend, Renate Bach, Heide und Christoph Bahr, Jana Beck, Gerrit Böhm, Lothar Brennecke, Elvira Bülo, Andrés Fernández, Kristina Georges, Gerlinde Henkel, Arnim Heyden, Petra Kepper, Inge Krawietz, Monika Moeller-Wagener, Christine Müsse, Martin Ruks, Dietrich Schiemann, Ute Strecha, Reinhold Strube, Günter Törner, Ute Torner, Werner Wilhelm Wegener, Elke Weide, Uda Weidt, Kirsten Wortmann u.v.a.

  

Pilgern in Frankreich

Am diesjährigen Startpunkt ihrer Reise werden die 27 Pilger aus Baunatal und anderen Städten Deutschlands von schneebedeckten Bergen empfangen. Kein ideales Wetter für eine Tour, die in 13 Tagen 294 km durch Frankreich zum Zielort Conques führen soll. Circa 1000  km hat die Gruppe bereits in den letzten vier Jahren vom Startpunkt Würzburg aus in 4 Etappen zurückgelegt.

 

In diesen Jahren hat die Gruppe sich weitgehend selbst versorgt und in Gemeindehäusern auf dem Boden übernachtet. Da mit Beginn der neuen Etappe auch einer der Hauptwege nach Santiago de Compostela beginnt, ist es nun auch möglich, in Herbergen für Pilger zu übernachten. Im Ort Le Puy, dem Ziel der dritten Tagesetappe, bündeln sich wie bei einer Sternfahrt verschiedene Wege aus Europa zu einem Hauptweg nach Santiago.

 

Le Puy ist ein berühmter Ort für Marienwallfahrten. Markant ist das äußere Erscheinungsbild der Stadt: Mitten in einem Vulkangebiet liegend ragen zwei Lavafelsen mit einer Kirche und einer Marienstatue über die Dächer der Stadt. Auch der Weg durch die Region Auvergne ist geprägt von grandiosen Aussichten auf verschiedene erloschene Vulkane. Für den Pilger bedeutet dies allerdings zusätzliche Anstrengung, weil viele dieser Berge überwunden wer-den wollen.

 

Mit dem Wandern allein geben sich die Pilger aber nicht zufrieden. Jeden Tag gibt es Impulse zu einem Thema. Dieses Jahr beschäftigt sich die Gruppe mit der Geschichte von Jona im Wal. Das Verschlungenwerden, Untertauchen und „neu geboren werden“ Jonas sind Facetten der Erzählung, die Anknüpfungspunkte zum Gespräch über eigene Lebenserfahrungen bieten. Als fester Bestandteil des Pilgerns hat sich in diesem Zusammenhang eine Zeit des Schweigens, in der die Impulse überdacht werden und eine Zeit des Austausches in kleinen Gruppen etabliert. In einem täglichen Gottesdienst, der unterwegs in einer der vielen Kirchen oder am Zielort der Tagesetappe gefeiert wird, findet das Thema seinen Abrundung.

 

Die häufig langen Tage finden ihren Abschluss in einer gemeinsamen Feedbackrunde. Für die nächsten Tage können die Pilger auf besseres Wetter hoffen. Es werden Temperaturen von über zwanzig Grad erwartet – mit diesen Aussichten läuft es sich auch für Pilger gleich viel besser.

 

 

 

Tag 52

Samstag, 12.10.13

von Baunatal nach Les Sétoux

 

Mein Tagebuch

Endlich ist es so weit! Schon seit Tagen scharren wir mit den Füßen und freuen uns auf das diesjährige Pilgern. Alle sind pünktlich am Bus und die Fahrt geht los, in der Wetterau steigen noch einige Leute zu und in Karlsruhe sind wir dann vollzählig, 27 Pilger auf dem Weg. Nach langer Fahrt kommen wir in Les Sétoux an, es liegt ein wenig Schnee. Wir belegen die gleichen Betten wie im Vorjahr. Alles gut. Am nächsten Morgen weckt uns Arnim mit dem Lied „Bruder Jakob“. Sehr passend. Leider wird er von einem „Fremdpilger“ mit den Worten „Halt die Klappe!“ abgewürgt. War dem Herrn wohl zu viel Unruhe, uns hat`s gefallen.

 

Einzig die Richtung hat einen Sinn. Es kommt darauf an, dass du auf etwas zugehst, nicht dass du ankommst. Antoine de Saint Exupéry

 

 

 

Tag 53

Sonntag, 13.10.13

von Les Sétoux in die Papeterie vor Tence

26500 m

 

Jona und der Wal

 

Impuls

 

Beim Hören der Geschichte am Abend vorher wurden Erinnerungen an die Kindheit wach, wo wir Geschichten vorgelesen bekamen oder als Hörspiele hörten. Beim Hören entstehen unweigerlich Bilder vor dem inneren Auge, die Phantasie und Vorstellungskraft werden geweckt. Jeder von uns kennt aus der Kindheit solche Bilder und Vorstellungen, die mit bestimmten  Geschichten verknüpft sind. Diese Bilder sind sehr subjektiv und von Mensch zu Mensch verschieden. Mit diesen inneren Bildern sind zudem oft unterschiedliche Gefühle assoziiert.

 

Die Geschichte von Jona und dem Wal ist über Jahrhunderte hinweg von unterschiedlichen Künstlern dargestellt und damit auch immer individuell gedeutet worden. Einige dieser Bilder haben wir für euch ausgedruckt. Schaut euch die Bilder an sucht euch eine Darstellung aus, die euch anspricht, in welcher Weise auch immer. Nehmt euer Bild mit und lasst euch beim anschließenden schweigenden Gehen von folgenden Fragen leiten:

 

•    Warum habe ich dieses Bild gewählt?

             Was spricht mich daran an (positiv oder negativ)?

•    Welche Gefühle drückt das Bild für mich aus?

•    Was haben diese Gefühle mit meinen eigenen Erfahrungen/meinem Leben zu tun?

Der Austausch findet am Nachmittag während des Gottesdienstes in Kleingruppen statt.

 

Jona im Bauch des Wals                                                       

Es ist dunkel.

Es ist still. Geräusche von draußen höre ich wie durch Watte.

Ich bin allein, ganz allein. Oder ist da noch jemand?

Der Boden unter mir schwankt, manchmal verliere ich den Halt.

Aber immerhin bin ich den mich umschließenden Wassermassen entkommen.

Ich lebe noch.

Meine Lungen können atmen.

Ich höre ein Rauschen und Pochen.

Ist das mein eigenes Herz, das Blut in meinen Ohren?

Ist das das Ende?

Aber immerhin: ich lebe noch.

Wie wird es weitergehen?

Zeit zum Innehalten und Nachdenken.

Das haben wir vielleicht auch schon erlebt.

Situationen , in denen scheinbar gar nichts mehr geht.

Kein Vor und Zurück, kein Entkommen, kein Ausweg.

Nur stillhalten und abwarten.

Gedanken und Gefühle wirbeln durcheinander.

Die Angst aushalten und mich selbst spüren.

Spüren, dass ich noch am Leben bin.

Langsam komme ich zur Ruhe, zum Nachdenken darüber, was mich in diese ausweglose Situation geführt hat.

Darüber, wer oder was  mich jetzt noch hält und trägt.

Wie wird es weitergehen?

Jona im Bauch des Walfischs- verloren und doch gerettet.

Mitten in der Bewegung auf einmal gestoppt.

Ein erzwungener Halt, kein freiwilliger. Aber vielleicht ein notwendiger?

Es sieht aus wie das Ende- hier geht nichts mehr.

Tiefer kann er nicht fallen, schlimmer kann es nicht werden.

Er muss es aushalten. Wir müssen es aushalten, auch wenn manchmal kein Ausweg in Sicht ist.

Aber immerhin: wir leben noch.

Hoffnung ist erlaubt!

 

 

Aus der Stille, in der wir unseren eigenen Gedanken und Gefühlen  Raum geben, formulieren wir ein Wort oder einen Satz, mit der wir Jona im Wal eine Stimme geben:

 

Ich brauche ein Zeichen – Verliere nicht die Hoffnung, dass alles gut wird, solange du noch lebst – Wärme – Bin ich lebendig begraben? – geborgen und behütet – Gnade, hilf mir hier raus! – Ich habe Angst und bin allein – Geborgenheit – zu eng geborgen, angstfrei – So nimm mein Herr meine Seele, es ist genug! – Hilfe, ich ersticke! – stark – Alles, Gott, möchte ich aus deiner Hand nehmen können -  Verweile nicht im Jetzt und hier! – Hilf mir, gib mir Kraft durchzuhalten – Versunken und beinahe aufgelöst (vom Schicksal verdaut?) – Es ist noch nicht alles verloren – HIL-FE! – Warum macht Jona das und missachtet Gott? – Unendlichkeit – Mein Gott, hilf mir! – Hoffnung auf Erlösung – Ich ersticke in der Dunkelheit  - Ist das mein Ende? – Ich will zurück zum Licht – ich bin geborgen

 

Mein Tagebuch

Los geht`s bei Sonnenaufgang mit rosa Wölkchen am Himmel. Endlich sehen wir die Umgebung, letztes Jahr war das Wetter schlecht und ringsum nichts zu sehen. Herrlicher Ausblick. Wir denken an Steffi und Sabine, von hier waren sie letztes Jahr alleine weitergegangen. Die Stimmung ist bestens und mit dem Thema von Jona und dem Wal geht es in den Tag. Es folgt der erste Impuls, erstes Schweigen. Für die Neuen neu, für die alten lang herbeierwartet. Mittags halten wir Gottesdienst in einer Kirche in einem kleinen Ort, es gibt keinen Kontakt zur Bevölkerung, wir sind dort unter uns. Am späten Nachmittag kommen wir in einer alten Papiermühle an. Es gibt kein Mühlrad, aber der Bach rauscht noch ganz munter, dauernd denkt man es regnet, tut es aber nicht. Die Betten werden verteilt und wir kommen in einer kleinen Wohnung mit Küche, Esstisch, Wendeltreppe, Duschbad und Bad mit Sitzbadewanne unter. Die ist echt niedlich und eine echte Herausforderung! Wohlriechend gehen wir zum Abendessen. Wir sind total platt als uns ein x-Gänge-Menü aufgetischt wird! Lauter Spezialitäten aus der Region, z.B. Aligot. Alle fragen sich wie man den Käse in den Kartoffelbrei bekommt!?! Staunend und satt fallen wir in die Betten, die erste Etappe ist schon vorbei.

 

Nur, wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen. Johann Wolfgang von Goethe

 

 

 

Tag 54

Montag, 14.10.13

von der Papeterie vor Tence nach Saint-Julien-Chapteuil

28500 m

 

Jona und der Fisch

 

Das Verschlungenwerden durch ein Ungeheuer, der dreitägige Aufenthalt in seinem Bauch und das Wiederausgespien werden ist ein archetypisches Bild, das sich in verschiedener kulturtypischer Prägung zu allen Zeiten auf der ganzen Erde manifestiert hat und immer wieder als unwillkürliche Aussage über innerseelische Vorgänge neu manifestiert. Die biblische Jona-Geschichte ist die in unserem Kulturkreis bekannteste Ausprägung dieses archetypischen Bildes.

 

 

Symbol Fisch

Ein langer Tag, fast 30 km lang, liegt vor uns. Es wird zugleich der einzige Tag sein, an dem es zwischendurch einmal für längere Zeit sanft regnet. Wir beschäftigen uns weiter mit dem Symbol des Fisches.

Das Motiv des Verschlungenwerdens durch einen Fisch begegnet nicht nur in der biblischen Geschichte von Jona, sondern auch in den Erzählungen und Riten anderer Kulturen. Ein Beispiel hierfür ist der Initiationsritus der Papua in Neu-Guinea.

 

In eine Geschichte verpackt hört sich das folgendermaßen an:

 

 

Das neue Leben de Ono

 

Ono ist zwölf Jahre alt. Er gehört zum Dorf Kambrambo am Sepikfluss. Ono weiß. dass morgen der große Tag sein wird, wo er nun endgültig mit seinen gleichaltrigen Freunden in den Kreis der Männer aufgenommen werden soll. Er hat in den letzten Wochen viel erlebt.

 

Vor ungefähr vier Wochen drangen nachts vermummte Gestalten in die Hütte seiner Eltern ein und verschleppten ihn gewaltsam in den Busch. Dort wurde er ausgesetzt und musste allein in der Wildnis durchkommen. Oft wurde er nachts von wilden Tieren bedroht, gegen die er sich wehren musste. Er suchte sich selbst seine Nahrung, um nicht zu verhungern. Eines Nachts tauchten die vermummten Gestalten wieder auf und brachten ihn in eine Hütte in der Nähe des Dorfes. Dort traf er seine Freunde, die Ähnliches erlebt hatten. Drei Tage lang mussten sie fasten und wurden über die Aufgaben eines erwachsenen Mannes im Stamm belehrt.

 

Die Sonne ist bereits aufgegangen und das ganze Dorf hat sich erwartungsvoll auf dem Dorfplatz versammelt. Ono steht mit seinen Freunden in einer Reihe vor dem Männerhaus. Plötzlich wird die Menge still. Vorsichtig schlängeln sich mehrere Kaiemunu-Figuren durch die Zuschauer. Jede wird von zehn Männern auf ihren Köpfen getragen, die einem feierlichen Gesang auf- und abwärts tanzen. Die Kaiemunu-Figuren haben die Form von unheimlich großen Fischen mit riesigen Mäulern, die bedrohlich aufgerissen sind. Immer, wenn sich die Riesenfische vorwärts bewe-gen, wird ihnen ein Knabe in den Rachen geschoben. Bald ist die Reihe an Ono. Jetzt heben die Männer ihn hoch und stecken ihn in das geöffnete Maul des Fisches. Das Ungeheuer hat ihn verschlungen. Ono der Junge ist tot. In dem Bauch des Ungeheuers ist es eng und dunkel. Ono wird gerüttelt und geschüttelt. Ihm ist unheimlich. Langsam rutscht er durch die Bewegungen des Kaiemunu nach hinten. Dort ist ein kleines Loch. Hier zwingt er sich hindurch ins Freie. Das Ungeheuer hat ihn wieder ausgespien, Ono ist als Mann neu geboren. Befreit und glücklich atmet er auf.

 

 

Impuls:

•    Wie sehen in unserer Gesellschaft Übergangsrituale aus?

•    An welchen Stellen des Lebens sollten sie stattfinden?

Was wünsche ich mir dabei? Was brauche ich?

•    Wann in meinem Leben habe ich selbst einen Schritt gewagt,

der dann Übergang in eine neue Lebensphase war?

 

 

Mein Tagebuch

Mit dem Morgengruß geht es los. An Außergewöhnlichen Basaltformationen vorbei immer weiter nach oben bis Saint-Julien-Chapteuil. Die Kirche grüßt schon von weitem mit ihren sichtbaren Glocken. Innen ist sie sehr dunkel und weil es schon spät ist, fällt der Gottesdienst heute aus und wir beziehen Doppelzimmer in einem Hotel, ein Novum. Nur die Teamer sind in einer Gîte in der Nähe untergebracht. Wir nutzen den Luxus und haben genug Platz unsere Sachen zu trocknen, es war etwas regnerisch unterwegs, aber nicht schlimm. Abends werden wir wieder mit Leckereien verwöhnt. In diesen Momenten geht das Pilgerfeeling etwas verloren und eine Spur von Urlaub kommt durch. Kann man aber gut mit leben…

 

Nur, wer seinen Weg geht, kann von niemandem überholt werden. Marlon Brando

 

 

 

Tag 55

Dienstag, 15.10.13

von Saint-Julien-Chapteuil nach Le Puy-en-Velay

18000 m

 

 

Thema: Gebet

 

Im Jonabuch spielt das Gebet, das Gespräch mit Gott, eine große Rolle. Bei dem heftigen Sturm auf dem Schiff beten die Menschen jeweils zu ihrem Gott und bitten um Hilfe. Als Jona über Bord geworfen wurde und von dem großen Fisch verschluckt wurde, betet Jona lange und inbrünstig im Bauch des Fisches. Nach der Predigt in Ninive betet Jona zornig mit Gott, wie es in der Geschichte heißt.

 

Zuerst erzähle ich von meinen Erfahrungen mit einem Lied, das mir während meines Pilgerns im Mai zum Gebet geworden ist.

 

Mein Pilgerlied von Jörg Zink nach der Melodie von: In dir ist Freude

 

1. Dich rühmt der Morgen. Leise, verborgen singt die Schöpfung dir, Gott, ihr Lied.

Es will erklingen in allen Dingen und in allem, was heut geschieht.

Du füllst mit Freude der Erde Weite,

gehst zum Geleite an unsrer Seite,

bist wie der Tau um uns, wie Luft und Wind.

Sonnen erfüllen dir deinen Willen.

Sie gehn und preisen mit ihren Kreisen

der Weisheit Überfluss, aus dem sie sind.

 

2. Du hast das Leben allen gegeben, gib uns heute dein gutes Wort.

So geht dein Segen auf unsern Wegen, bis die Sonne sinkt, mit uns fort.

Du bist der Anfang, dem wir vertrauen,

du bist das Ende, auf das wir schauen.

Was immer kommen mag, du bist uns nah.

Wir aber gehen, von dir gesehen,

in dir geborgen durch Nacht und Morgen

und singen ewig dir: Halleluja!

 

Die Schönheit und die Weisheit der Schöpfung laden mich ein, Gott hinter allem zu entdecken. Gott will mich erfreuen mit allem, was er geschaffen hat, mir zur Freude gibt es diese Erde. Durch das Nachsprechen des Textes bin ich in Zwiesprache mit Gott gekommen. Dazwischen flossen auch immer wieder eigene Worte hinein. Ja, du hast mir dieses Leben geschenkt. Du bist der Anfang, dem ich vertraue und auf Dich schaue ich, wenn ich über das Ende meines Lebens nachdenke. Unbegreiflich, dass Du mir immer nah bist und Du mich siehst, aber darauf will ich mich verlassen, darauf will ich vertrauen. Und die angemessene Haltung Dir gegenüber? Ja, eigentlich bleibt mir nur Dich zu preisen und Dich zu loben wie es zum Schluss im Lied heißt: und singen ewig Dir: Halleluja!

 

 

In der Tat: das Jonabuch ist voll von Gebet. Was soll ein Prophet, ein Mann Gottes, auch anderes tun als beten? Das ganze Buch erzählt von einer intensiven Geschichte zwischen Gott, Jona und den Menschen von Ninive. Was passiert da nicht alles an verwunderlichen und wunderbaren Dingen! Und Jona verändert sich nicht, lernt nichts, bleibt so dumm wie er am Anfang war. Die Geschichte ist so erzählt, dass man den Eindruck gewinnen kann, der Erzähler mache sich über eine ganz bestimmte (fromme) Haltung lustig. Da betet einer, hält sich für gottesfürchtig, von Gott auserwählt, dem Höchsten besonders nahe und ist doch so verschlossen, starr, dumm und kurzsichtig. Wie kann einer auf den lebendigen Gott bezogen und doch so lebensverneinend sein? Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so traurig wäre.

 

Ich stelle für mich fest: Beten ist menschliches Tun; denken, man sei gläubig und Gott besonders nahe, ist menschliches Denken; sagen, Gott habe zu mir geredet, ist menschliche Aussage; und alles menschliche Tun, Reden, Denken kann irren, kann bewusst oder unbewusst falsch sein. Und alles kann irgendwie immer auch missbraucht werden.

Das muss ich mir klar machen, wenn ich einige Erfahrungen mit dem Beten verstehen und hinter mir lassen will.

 

Ich bin einer Familie und einer Gemeinde aufgewachsen und auch in meinem Glauben geprägt worden, wo viel gebetet wurde und der christliche Glaube eine zentrale lebensbestimmende Größe war. Als heranwachsender Jugendlicher begann ich, mir zu vielen Dingen eigene Gedanken zu machen und zu die auch zu äußern.  Da konnte es dann schnell geschehen, dass man „ins Gebet genommen“ wurde, dass man zu denen gehörte, für die besonders gebetet werden musste, weil sie bzw. ihr Seelenheil gefährdet waren. Hier wird das Gebet zu einem Instrument der Sicherung enger Gruppenregeln. Gott sei Dank habe ich auch anderes Beten erlebt und gelernt, das geprägt war von großer Dankbarkeit, Lebensbejahung und Offenheit.

 

Fragen zum Impuls:

•    Wer hat mit mir als Kind gebetet?

•    Wo hat mir ein Gebet einmal geholfen?

•    Was macht es mir schwer zu beten?

 

Der Abendgottesdienst in Le Puy-en-Velay fiel leider aus, weil wir keine offene Kirche gefunden haben. So trafen wir uns zu einer kleinen Andacht im Speisesaal mit Liedern, Gebeten und der Geschichte von Joschi und Flabes mit dem Gebet im nächtlichen Gewitter.

 

Mein Tagebuch

 

Am nächsten Morgen gehen wir in die dunkle Kirche zum Gottesdienst. Tatsächlich macht uns eine Frau das Licht an, bleibt aber leider nicht. Danach geht es geistlich gestärkt auf den Weg nach Le Puy. Das Wetter ist durchwachsen, beim Zieleinlauf fängt es noch einmal an zu nieseln. Wir überqueren die Loire (nicht die Loire mit den Schlössern, sondern eine Andere) auf einer alten Steinbrücke. An dem breiten Tal sieht man, das hier öfter auch mal mehr Wasser fließt. Und trotzdem steht die Brücke noch. Unsere heutigen Betonbauten schaffen das längst nicht. Die Stadt selbst empfängt uns schon vorher mit einer Autobahn, an der wir einige Zeit entlang laufen. Lärm und Gestank holen uns in die Wirklichkeit zurück. Die Zivilisation ist manchmal nicht zivilisiert. Eine Madonnenstatue auf einem Berg und eine Kirche auf einer Bergnadel locken uns näher. Wir landen in einer Auberge de la jeunesse, einer Jugendherberge in der Altstadt. Alles renoviert. Super! Nur Haken an den Wänden gibt es keine. Nirgends. Vielleicht können andere Menschen die Sachen in der Luft schweben lassen!?! Echt spooky! Leider gibt es hier nichts zu essen aber dank Heinz und Uwe ist ein Restaurantbesuch organisiert. Nach einem leicht unfreiwilligen Stadtrundgang finden wir auch den Ort der Begierde und lassen uns dort auch wieder mit mehreren Gängen verwöhnen. Leben wie Gott in Frankreich!

 

Der große Weg ist sehr einfach, aber die Menschen lieben die Umwege. Lao-tse

 

 

 

Tag 56

Mittwoch, 16.10.13

von Le Puy nach Saint-Privat-d´Allier

25000→ 709↑ 478↓

 

 

Thema: Verwandlung

 

Jona spricht zu Gott:

„Das hab ich nun von meiner Predigt. Die böse Stadt bleibt unbeschädigt.“

 

Impuls: Wir lesen aus „Der Fisch war voll Gesang“ von K.P. Hertzsch (Und Gott sah aus von seiner Höh...)

 

Was ist nur los mit Jona?

Aufgabenstellung:   

•    Charakterisiere Jona mit 5 Begriffen.

•    Welche Fragen würdest du ihm gerne stellen?

•    Wie erklärst du es dir, dass Jona sich nicht über

•    die Rettung der Stadt freuen kann?

 

Das Gottesbild verändert sich vom rachsüchtigen Gott (Auge um Auge, Zahn um Zahn) zum Barmherzigen. Diese Veränderung wird deutlich durch Jonas Unveränderlichkeit.

 

Zur Veränderung braucht es Freiheit.

Jona nutzt seine Freiheit nicht.

 

Was ist Freiheit? Wer ist frei? Wie und wodurch mache ich von meiner Freiheit Gebrauch oder auch nicht? (→ Roman eines Schicksallosen.)

 

Mein Tagebuch

Nach gut verbrachter Nacht gehen wir als erstes in die Kathedrale, ein großes Gotteshaus mit einer schwarzen Madonna, die, wohlgemerkt, nicht der Papst ist…Dann kleiner Fototermin auf der Außentreppe und weiter geht`s auf einen kleinen Platz. Dort beginnt die eigentliche „Hauptroute“ des Jakobsweges. Letzte Gelegenheit für unterwegs noch Proviant zu bunkern und dann geht es aus der Stadt heraus. Der Weg führt an einem kleinen Canyon vorbei und ist wunderschön. Leider verlieren wir einen kleinen Teil der Gruppe und der geplante Gottesdienst in einer kleinen Kapelle fällt aus. Aber wir wollen ja auch nicht ohne die verlorenen Schäflein feiern. Aufgeschoben ist nicht auf-gehoben. Mit Heinz´s Hilfe werden alle wieder eingesammelt und gemeinsam geht`s auf letzte Stück des Weges. Wir kommen in einer Gîte an. Unser Viererzimmer ist echt mini, aber sonst ist hier alles ganz schick, besonders das kupferne Muschelwaschbecken mit Fußschalter, echt innovativ. Auch hier beste Verpflegung, alle geben sich die größte Mühe.

 

Der Weg dauert ewig. Es ist ein Segen, ihn eine Zeitlang zu gehen, aber eines Tages wird er enden, also sei jederzeit darauf vorbereitet, dich zu verabschieden. So sehr dich auch manche Landschaften zum Staunen bringen oder dich einige Strecken einschüchtern mögen, die zu gehen viel Mühe kostet, halte nichts fest. Weder die euphorischen Stunden noch die endlosen Tage, in denen alles schwierig erscheint und der Fortschritt langsam ist. Früher oder später wird ein Engel kommen, und dein Weg wird zu Ende sein, vergiss das nicht.

Paulo Coelho

 

 

 

 

Tag 57

Donnerstag, 17.10,13

von Saint-Privat-d´Allier nach Saugues

18500→ 717↑ 628↓

Solange wir Zuschauer bleiben, geht das Leben an uns vorüber. (→ Jona)

 

IMPULS:

•    An welche Momente, Situationen deines Lebens erinnerst du dich,

wo Veränderung stattgefunden hat? Was hat sich verändert?

•    Und wodurch ist die Veränderung in Gang gekommen?

•    Wie beurteilst du diese Veränderung im Nachhinein? Warum?

•    Freust du dich auf Veränderungen oder fürchtest du sie eher? Warum?

 

 

 

Mein Tagebuch

Heute ist Geburtstag von Katharina und Jonas! Per SMS werden die ersten Glückwünsche in die Heimat geschickt! Nach dem Frühstück beginnt der Pilgertag mit dem Gottesdienst. Ein kleiner Fußweg über die frisch asphaltierte Straße bringt uns zur Kirche. Eilig werden noch unterwegs Flutes und Baguettes und Croissants gekauft. Bei einigen schaut das frische Brot aus den Rucksäcken. Zum Anbeißen! Nachdem wir die Katze vom Altar vertrieben und beschlossen haben, dass Renate und Werner den „Lichtadler“ machen um die Bewegungsmelder in Gang zu halten, feiern wir einen sehr schönen Gottesdienst. Es ist wieder eine dieser tollen gotischen Kirchen, die mit ihrer Aus-strahlung einen insgesamt gefangen nehmen. Die modernen Fenster sind wunderschön und man könnte noch ewig dort sitzenbleiben. Aber heute ist der Weg anstrengend, also geht es los. Den Berg hinunter, leider nicht über eine Burg mit Kirche. Das sehen wir nur von unten, was soll`s. Jedenfalls sind wir den leichteren Weg gegangen und das hat unsere Muskeln und Gelenke geschont. Im Tal geht`s über eine „Eiffelbrücke“. Der Eiffel? Dem Baustil nach könnte das sein, keiner weiß was Genaueres! An der Kirche im Ort (leider verschlossen) gibt`s den Impuls und schweigend gehen wir in die Höhe. Der Weg wird zum Pfad und nach rechts geht es ziemlich steil in die Tiefe. Also Augen auf den Weg und nicht viel drüber nachdenken…Gut das wir schweigen, zum Reden fehlt die Puste. Alle kommen gut oben an. Wir sind schon eine prima Gruppe, alle gut drauf. Natürlich bleiben wir nicht auf der Höhe, es geht gleich wieder runter und rauf und runter. Bis nach Sauges. Hier wütete einst ein Ungeheuer, es soll 100 Frauen und Kinder gefressen haben. Diverse Holzskulpturen erzählen davon. Wir haben nichts Verdächtiges bemerkt und beziehen unser Quartier. Wiedermal gibt es Doppelzimmer, die Lage ist sehr entspannt. Gemeinsam mit einer Schulklasse speisen wir im salle à manger, einfach und gut. Im Gemeinschaftsraum ist es etwas kühl aber es gibt noch einen Rotwein der uns erwärmt und ein Schnäpschen zum Wohl unserer Zwillinge tut sein Übriges. Bon nuit!

 

 

 

Tag 58

Freitag, 18.10.13

von Sauges nach Domaine du Sauvage

23000→ 707↑ 389↓

 

 

Thema: Religiöse Standortbestimmung

Im Jonabuch begegnen uns Religionen oder religiöse Einstellungen und Haltungen: der Jude Jona, die unterschiedlichen Religionen angehörenden Seeleute und die Menschen in Ninive mit ihrer (assyrischen) Religion. Religionen sind bestimmt durch kultische Handlungen, bestimmte Deutungen der Welt, durch Lehren und Dogmen. Wir alle sind irgendwie – stärker oder schwächer – durch Religion oder Weltanschauung geprägt. Wir haben eine Herkunft und einen Standpunkt. Dazu die folgende Übung.

Meditative Körpererfahrung „einen festen Stand haben“

Die Bedeutung des hebräischen Wortes für Glauben AMAN ist „sich festmachen in…/fest sein in…/einen festen Stand haben in…

Feststehen nicht aus sich selbst, sondern durch einen Grund, der trägt und hält. Wer diesen Grund gefunden hat, der kann sich aufrichten, aufrecht, gerecht sein, der kann im Stande sein zu handeln und sich auf den Weg machen.

 

Wir sitzen auf dem Boden und schließen die Augen.

Ertaste den Boden mit deinen Füßen – mit deinen Händen – fühle seine Beschaffenheit! – Nimm den Kontakt zwischen dem Boden und deinem Körper wahr!

Drücke gegen den Boden mit deinen Händen – deinen Armen – deinen  Füßen – deinen Beinen! Erprobe seine Festigkeit – seine Tragfähigkeit – den Widerstand, den er dir leistet! – Stelle dich innerlich darauf ein, dass du bald auf-stehen wirst.

Tu noch nichts! – Spüre zuerst, wo die Kraft zum Hochkomme in dir da ist – wie dein Atem dich vorbereitet. – Fühle, wie du den Widerstand des Bodens nützen kannst!

 

Beginne jetzt, dich langsam vom Boden und deiner eigenen Kraft aufrichten zu lassen. – Sei mit deiner Aufmerksamkeit bei beidem: bei der Festigkeit des Bodens – bei der Bewegung deines Körpers! Lass dir  - wiederhole evtl. den Vorgang mehrfach auf verschiedene Weise!

 

Wenn alle stehen:

Spüre den Boden unter deinen Füßen – unter den Fersen – den Zehen – den Ballen – vielleicht sogar in den Fußgelenken – Beinen – Knien – im Rücken.

Nun bist du im Stande – du kannst stehen – feststehen – bestehn – standfest sein – stand-halten, denn du hast einen Grund, der fest ist, an dem du dich fest-machen kannst.

Ich bin jetzt im Stande – im Stande, fest zu stehen – im Stande, mich zu strecken, groß zu machen – im Stande, mich auszudehnen – weit nach rechts und links – im Stande, mich zu bewegen – zu gehen – zu hüpfen – zu drehen – zu stampfen – Widerstand zu leisten.

Probiert aus, was sich auf diesem festen Boden machen lässt – wozu ihr im Stande seid! – Bestimmt selbst, wann ihr wieder die Augen öffnen wollt, wann und wie ihr die Bewegung ausklingen lassen werdet!

 

Anschließende Fragen:

•    Wer bist du?

•    Wo kommst du her?

•    Was glaubst du?

Damit schweigend gehen und später Austausch in Kleingruppen.

 

 

Gottesdienst unterwegs in Chanaleilles, am frühen Nachmittag:

Das Thema der Vortage ist noch nicht abgeschlossen. Da ging es um Verwandlung, Umkehr, Veränderung, Aufbruch. Ein Beispiel einer Verwandlung, das in diesem Gottesdienst eine Rolle spielte war die Geschichte vom  Zöllner Zachäus. Der wagte einen Aufbruch aus seinem wirtschaftlich sehr komfortablen Leben und kletterte auf einen Baum, um Jesus zu sehen. Er setzte sich damit den Blicken der anderen aus, hob sich ab. Exponierte sich. Das war ein Risiko, ebenso wie all das, was daraus folgte: die Selbst-Einladung Jesu in sein Haus und seine spektakuläre Abkehr von seinem bisherigen Leben mit enormen finanziellen Folgen.

Jona hat das Risiko des Aufbruchs gescheut, des Aufbruchs zu einem neuen Leben, zu einer neuen Sicht seines Gottes, zu einer neuen Sicht der Menschen, die er für böse Feinde gehalten hatte. Seine Sicht bleibt eng und er kreist mit seinen Gedanken und Gefühlen um sich und seine Befindlichkeit.

Ein Risiko ist das ja allemal, seine Überzeugung infrage zu stellen, seine Position aufzugeben, sich zu öffnen für fremde Menschen und eine andere, neue Sicht der Dinge. Wer ohne das riskante Wagnis für Umkehr, Aufbruch und Neuanfang lebt, verknöchert, erstarrt und verarmt.

Andererseits gilt auch: Wer die Beziehung zu seiner Herkunft, seine Wurzeln verliert, wer ohne Orientierung und Fixpunkte umherirrt droht ebenso zu scheitern. Ich wünsche mir die Geborgenheit und Sicherheit, die aus klaren Positionen stammt, und zugleich die Offenheit zu Begegnungen und neuen Entwicklungen, die mich lebendig erhält und manchmal auch zur Veränderung meiner Positionen führt.   

  

                                          

Mein Tagebuch

Markttag in Sauges! Möglichkeit zum Einkauf für die Pilger und auch unser Kreuz bekommt einen neuen Blumenstrauß, bunte Astern. Unterwegs gibt es einen Impuls mit einer kleinen Körperübung. Immer mal was Neues. Etwas später kommt uns eine Herde Kühe entgegen und wird auf die Weide getrieben. Die wirken alle gelassen und friedlich. Da kann man sich mal was von abgucken. Den Gottesdienst gibt es diesmal unterwegs. Jedenfalls ist man nicht so müde wie abends und kann der Sache leichter folgen. Dann geht`s noch mal richtig hoch, zur Domaine du Sauvage. Wunderschön gelegen, hoch, einsam. Super schön eingerichtete Gaststätte die den Namen auch verdient. Der Vollmond steht überm Haus, die Wolken ziehen schnell, toll. Wir wünschen  uns im Sechserzimmer eine gute Nacht: Gute Nacht Petra, gute Nacht Elke, gute Nacht Heide, gute Nacht Gerrit, gute Nacht Lothar, gute Nacht Christoph, gute Nacht John-Boy.

 

 

Zwei Dinge solltest du meiden, o Wanderer, die zwecklosen Wünsche und die übertriebene Kasteiung des Leibes. Buddha

Pilgertagebuch 2013_2

 

Tag 59

Samstag, 19.10.13

von Domaine du Sauvage nach Aumont-Aubrac

31500→ 466↑ 715↓

 

 

 

Begegnung mit Fremdem

 

•    Erinnere dich an eine Begegnung mit fremder/anderer Religion oder Konfession

•    Was war dir fremd oder unverständlich?

•    Was hat dir dabei vielleicht Angst gemacht oder dich interessiert? 

 

 

 

Gottesdienst am Sonntagabend

Schriftlesung: Apg. 2, 1-11

 

Wir haben uns gestern mit der Frage beschäftigt, was unser „Standpunkt“ ist, unsere Werte und Überzeugungen, was wir glauben. Es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen, sich zugleich aber dessen bewusst zu sein, dass es mein Standpunkt ist. Es ist keine absolute Wahrheit.

 

Wenn ich einen stabilen Standpunkt habe, gibt mir das die Sicherheit, Fremdem begegnen zu können, Neues kennen zu lernen und damit wirklich in Kontakt gehen zu können.

 

Wenn wir davon ausgehen, dass es einen Schöpfergott gibt, der mit seinen Geschöpfen in Kontakt tritt, dann heißt das auch, dass dieser Gott viele Sprachen spricht, dass er viele unterschiedliche Wege kennt und geht, um sich seinen Geschöpfen zu offenbaren.

 

Gott kann jedem Menschen in der ihm vertrauten Kultur, in seiner eigenen Tradition und den ihm bekannten Geschichten begegnen, in seinem Alltag und seiner Art zu leben und zu denken.

 

 

Mein Tagebuch

Aufbruch bei Sonnenaufgang. Ein Schild sagt: noch 1478 km bis Santiago. Läppisch. Impuls gibt es an einer Kapelle mit Freilichtbühne. Was findet hier wohl sonst noch statt? Der Weg ist lang und abwechslungsreich. Die Herbstfärbung der Laubbäume ganz intensiv, besonders wenn die liebe Sonne scheint. Das tut sie jetzt öfter mal. Erschöpft kommen wir in Aumont-Aubrac an. Hier bleiben wir zwei Tage. Bei der Zimmerverteilung haben wir scheinbar Glück gehabt, bis auf einen schrägen Regalboden und die kaputte Flurlampe ist alles gut. Andere haben wohl etwas schrottige Zimmer, das Hotel hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Das Abendessen ist ok.

 

Du musst nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben. Antoine de Saint Exupéry

 

 

 

Tag 60

Sonntag, 20.10.13

Pausentag in Aumont-Aubrac

 

 

Mein Tagebuch

Heute ist Pause! Fast schon Langeweile. Es fehlt was. Es ist zwar Sonntag aber trotzdem haben die wenigen Geschäfte geöffnet. Diese werden eingehend inspiziert. Das dauert ja nicht so lange… Dann machen wir einen lang gehegten Wunsch war. Um ca. 10:30 Uhr Ortszeit betreten wir eine kleine Bar und bestellen einen „Petit Rouge“. Hat was. Wir sind jedenfalls nicht allein. Für die Einheimischen ist das scheinbar ganz normal. Wir beobachten die Szene: Gäste kommen, bestellen, trinken, unterhalten sich währenddessen und sind dann wieder verschwunden. Andere Länder, andere Sitten. Nicht unsympathisch. Den restlichen Tag vertrödeln wir so rum. Ein halber freier Tag hätte auch gereicht, oder an anderer Stelle: z.B. in einem größeren Ort oder an einem anderen Wochentag. Nun gut. Jedenfalls kann man mal in Ruhe duschen und überhaupt Körperpflege betreiben, das kommt sonst immer ein bisschen kurz. Wir freuen uns schon auf den nächsten Tag.

 

 

Hebe den Blick und du siehst keine Grenzen. aus: „Die Möwe Jonathan“

 

 

 

Tag 61

Montag, 21.10.13

von Aumot-Aubrac nach Nasbinals

27000→ 567↑ 427↓

 

 

Der Wille Gottes

 

Jona hat mit Gott ein Problem, er möchte nicht das tun, was Gott von ihm will. Er soll nach Ninive gehen und der Stadt von einem nahenden Unheil predigen. Aber Jona setzt sich mit Gott nicht auseinander, sondern er flieht. Weit weg auf dem Weg zum Ende der Welt holt Gott ihn ein, er wird auf dem Schiff von den Matrosen als die Ursache des Unwetters erkannt und ins Meer geworfen. Durch einen großen Fisch wird Jona verschlungen und anschließend ans Land gespuckt und so gerettet.

Widerwillig geht Jona nun doch nach Ninive und predigt der Stadt von dem kommenden Unheil. Die Menschen in der Stadt gehen in sich und kehren um. Jona kann sich darüber nicht freuen, er sitzt alleine in der Hitze draußen vor der Stadt und schmollt.

 

Was geht in Jona vor? Welche Gefühle streiten in ihm vielleicht miteinander und auch gegeneinander?

 

Wir haben sozusagen spielerisch den Jona begleitet in eine "Therapiestunde". Die Therapeutin hat Jona angeboten, systemisch mit ihm zu arbeiten. Mit Hilfe einer Familienaufstellung konnte Jona in verschiedene Rollen schlüpfen und somit unterschiedliche Sichtweisen wahrnehmen und sich seiner Gefühle deutlicher werden.

 

Zunächst übernahm Jona die Sichtweise zweier Menschen aus Ninive, einmal schlüpfte er in die Rolle des Königs und dann in die Rolle einer Magd. Jedesmal konnte Jona wahrnehmen, wie überzeugend und redegewandt er gesprochen hatte, so dass die Menschen in Ninive auf ihn gehört haben und ihr Leben änderten.

Dann schaute sich Jona seine Gefühle an, die mit seinem "Gekränkt-Sein" zusammenhingen. Er schlüpfte in die Rolle seiner Scham und seiner Wut. Jona konnte wahrnehmen, dass seine Scham zwar ein unangenehmes Gefühl war, dass aber seine Scham ihn auch geschützt hatte. Seine Wut hatte ihn zwar unglaublich aufgebracht, aber in dieser seiner Wut steckte auch eine unglaubliche Kraft.

Dann war es noch nötig, auf die Beziehung zu dem "da oben" zu schauen. Jona kam ins Gespräch mit Gott und konnte sich im Spiel mit Gott auseinandersetzen. Hier konnte er Gott seinen Ärger sagen, dass er sich wie ein Spielball, wie eine Marionette gefühlt hatte, aber er konnte auch wahrnehmen, wie wichtig für Gott die Beziehung zu ihm war.

Zum Schluss hielt Jona noch Ausschau nach seiner "Lebensfreude", die ihm so abhanden gekommen war. Er spürte nach, was ihm wieder Freude am Leben schenken könnte.

 

Während dieser "Therapiestunde" des Jona mit seiner Therapeutin war es mucksmäuschenstill in der Kirche. Alle lauschten gespannt und verfolgten, wie es Jona in dieser Stunde erging.

 

 

Die Impulsfragen für die Gruppe:

Habe ich schon einmal mit Gott gehadert?

•    Wann?

•    Zu welchem Thema?

•    Welche Anteile wurden in mir verletzt?

 

Nach der einen Stunde Schweigen Austausch zu zweit, eine Frau jeweils mit einer Frau und ein Mann mit einem Mann.

 

 

 

Im Gottesdienst abends

in der wunderschönen Kirche in Nasbinals stand im Mittelpunkt das

 

Thema: Tentatio – Versuchung.

 

Grundlage für unser Nachdenken war ein Vortrag von H. O. v. Hagen, den wir vor vielen Jahren in Marburg in der Elisabethkirche zu diesem Thema gehört hatten.

In diesem Vortrag ging es um vier Arten von Versuchungen, denen wir erliegen können, wenn wir den unbegreiflichen Widerspruch erfahren zwischen dem liebenden Vatergott und den Widerfahrnissen des Alltags. Vier Versuchungen, die uns in einer Situation der Anfechtung bedrohen. Veranschaulicht wurden die vier Versuchungen jeweils durch einen Blick auf Jesu Verhalten in der Gethsemane-Geschichte:

•    Die Versuchung der Schizophrenie: Gott wird aus dem Alltag des Lebens mit seinen Ärgerlichkeiten ausgeklammert. Gott kommt in ein Reservat, in ein Schongebiet und ist nur für das Gute im Leben zuständig.

•    Die Versuchung zur Resignation: Wir wählen den Weg des Fleisches, den Weg des geringsten Widerstandes, wir sinken in die Resignation ab und tun, was unser Vegetativum uns als erstes eingibt: wir schlafen.

•    Die Versuchung zum atheistischen Zweifel: Gott wird geleugnet, es gibt ihn nicht – "der du nicht bist", zu diesem Ergebnis kommt Rilke in seinem Gedicht.

•    Die Versuchung zum Spiel mit der Sinngebung - wohl die schwierigste und schwerste Versuchung. Sinngebung beruhigt, tröstet, stärkt und kann Ergebung erleichtern. In dem Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff erhält Jesus in Gethsemane Tröstung und Stärkung durch die gottgeschenkte Vision, dass sein Leiden unendlich heilbringend sei. Erst Sinngebung, dann Ergebung heißt hier das Motto. Aber – für den biblischen Jesus blieb Gott in Gethsemane der verborgene Gott. Die Sinngebung für sein Leiden blieb für ihn damals aus. Sinn kann nur als Gottes barmherziges Geschenk verstanden werden. Gott ist nicht verpflichtet zur Sinngebung.

 

In seinem Leiden wurde Jesus von allen vier Versuchungen bedroht, aber er ist keiner Versuchung erlegen.

 

In der Kirche haben wir die vier Versuchungen räumlich dargestellt, zwei Achsen, wie ein Kreuz.

Die eine Achse stand für die jeweilige Entfernung zu Gott: Entweder ganz nah, dass Gott nur für das Gute zuständig ist oder ganz weit weg, Gott gibt es überhaupt nicht.

Die andere Achse stand für die jeweilige Energie: Entweder überhaupt keine Energie mehr, nur noch Resignation oder voller Energie auf der Suche nach einem Sinn.

 

 

Mein Tagebuch

Endlich wieder laufen! In einer Kirche am Wegesrand bekommen wir von Uda und Arnim den Impuls. Jona bei einer Therapiesitzung! Ganz neue Wendung, eben wie im richtigen Leben. Aber das hat lange gedauert und etwas fröstelnd machen wir uns wieder auf den Weg. Es geht auf eine Hochebene. Tolle Landschaft. Steinmauern und Weiden. Vereinzelt sind noch Rinder hier oben. Im Sommer sind es sicherlich viel mehr. Jetzt sind sie schon im Tal oder auf dem letzten Transport im Viehlaster…Übernachtet wird in Nasbinals in einer etwas herunter gekommenen Jugendherberge. Wir sind halt etwas verwöhnt mittlerweile. Die Betten quietschen und sind nicht so nach unserem Geschmack aber wir schlafen trotzdem gut darin. Das Abendessen war von Gerlinde in einem Restaurant an der Kirche bestellt worden. Wir hatten Menü und waren gut zufrieden. Einige aus der Gruppe hatten die Gänge einzeln bestellt und es kam zu „Irritationen“. Andere Länder, andere Sitten.

 

"Weil er da ist." George Leigh Mallory auf die Frage, warum er den Everest besteigen wollte.

 

 

 

Tag 62

Dienstag, 22.10.13

von Nasbinals nach Saint-Chely-d´Aubrac

17500→ 342↑ 714↓

 

Gott, der sich Wandelnde (Jona)

Gott begegnet seinen Menschen. Je nach Situation erleben sie ihn.

 

Schon am Morgen ist es sehr stürmisch. Der Wind wird uns den ganzen Tag begleiten durch eine urtümliche, fast baumlose Landschaft, in der wir ab und zu den schönen Aubrac-Rindern begegnen, die mit ihren langen Hörnern stoisch auf den Hochlandweiden grasen.

 

In der Geschichte von Jona tritt hinter der ereignisreichen Handlung der Geschichte das Bild eines liebenden, verzeihenden Gottes hervor, das für uns Anlass ist, unser eigenes Gottesbild einmal näher zu befragen.

Gott begegnet seinen Menschen. Je nach Situation erleben sie ihn ganz unterschiedlich. Wir hören als Impuls angedeutet unterschiedliche Beispiele aus der Bibel:

 

Impuls:

Beispiele aus der Bibel werden angedeutet:

 

Gott, der Schöpfer (Gen. 1,1-2,4a)

Gott, der Vertreiber (Gen. 2,4b-3)

Gott, der Barmherzige (Gen. 4)

Gott, der Enttäuschte (Gen. 6-9.11)

Gott, der Garant (Gen. 9)

Gott, der Fordernde (Gen. 12.22)

Gott, der Begleiter (Ex. 3)

Gott, der Befreier (Ex. 20)

Gott, der Sanfte (1. Kö. 19)

 

Gott, der Gesuchte/Abwesende (Hiob)

Gott, der Angebetete (Psalter)

Gott, der Geliebte (Salomo)

Gott, der sich Wandelnde (Jona)

Gott, der Gerechte (Mt. 20,1-16)

Gott, der Liebende (Lk. 15)

Gott, der Ohnmächtige (Lk. 23,32ff)

Gott, der Gegenwärtige (Lk. 24)

...

 

 

Impuls: Welchen Gott kennst du?

•    Welchen Gott kennst du?

•    In welchen Situationen ist dir Gott begegnet oder auch nicht?

•    Wo hast du dich vergeblich nach ihm gesehnt?

•    Wo kam er unverhofft?

 

 

Austausch:

Sammeln der Gottesbilder und Situationen.

Vergleich mit den biblischen Bildern:

Was ist ähnlich? Was ist so ganz anders – heute?

 

 

 

 

Im Gottesdienst

Predigt: Wo ist Gott? Wie begegnet er uns?

 

 

Mein Tagebuch

Die Landschaft vom Vortag setzt sich fort. Der Wind ist heftig aber warm. Wir werden ordentlich durchgepustet und oben auf der Passhöhe in ca. 1400 ü NN legen wir uns in den Wind. Dann geht es über die Passstraße und hinab ins Tal nach Saint-Chely-d´Aubrac. Dort sind wir aufgeteilt in Gîte und Turm. Wir schlafen im Turm, der ist aus dem 16. Jahrhundert, irre. Wie auf Zeitreise, das Bad ist nagelneu und picobello. Es gibt sogar frische Handtücher die gar nicht muffig riechen! Genießen, genießen, genießen! Wir machen uns frisch und essen unser mitgebrachtes im „Speisesaal“ am großen Kamin (ist leider aus). Danach gehen wir noch eine Roten trinken und sitzen lange vor der Bar auf der Terrasse. Alle Einheimischen, die an uns vorbeigehen, fragen, ob es nicht zu kalt wäre, aber wir finden es angenehm. Sonst würden wir ja nicht da sitzen…Ein Franzose erzählt, dass schon so viel, er zeigt etwa 20 cm Schnee gelegen hätten. Wir glauben ihm höchsten die Hälfte. Ein schöner Abend geht zu ende.

 

„Sobald der Geist auf ein Ziel gerichtet ist, kommt ihm vieles entgegen.“ Johann Wolfgang von Goethe

 

 

 

Tag 63

Mittwoch, 23.10.13

von Saint-Chely-d´Aubrac nach Espalion

17000→ 398↑ 819↓

 

 

Wer ist Gott für dich? (Gottesbilder)

Geschichte von Herrmann Schulz: Ein Apfel für den lieben Gott

 

Die  Geschichte  erzählt eine  Kindheitsepisode aus dem Leben einer Großmutter, die  als kleines Gretchen eines Tages im Streit ihrer Freundin Paula einen  Zopf  abschneidet.  Daraufhin warnen die Eltern: „Glaub ja nicht, dass der liebe Gott das nicht sieht! Irgendwann wird er dich bestrafen!“  Das Mädchen fühlt sich da­ durch herausgefordert, den „lieben Gott“ durch allerlei Streiche auf die Probe zu stellen. Die Strafe für das gewissenlose Gretchen bleibt am Ende jedoch aus, und obendrein wird es mithilfe eines Pferdes vor einem Unglück bewahrt. Es bedankt sich bei seinem Lebensretter und flüstert ihm ins Ohr: „Gib zu, dass du der liebe Gott bist.“

 

Impuls:

Erinnere die Gottesbilder aus deiner Kindheit.  

•    Welche Geschichten, Ereignisse fallen dir ein?

•    Wie und wodurch bist du zu deinem Glauben gekommen?

•    Womit hat es angefangen?

•    Welche Menschen spielten dabei eine Rolle?

 

Und Heute – was denkst du heute?

•    Wie ist dein gegenwärtiges Gottesbild?

•    Wie und wodurch hat es sich im Laufe der Zeit verändert?

•    Welche Menschen/Erlebnisse spielten dabei eine Rolle?

 

•    Wenn du beide Bilder miteinander vergleichst:

•    Was ist anders?

•    Was gefällt dir besser? Warum?

 

Austausch in Kleingruppen

 

         

          

Im Gottesdienst

 

Jeder erhält eine Pappe, Fäden zur Auswahl.

Aufgabe: Lege ein Fadenbild: Gott und ich.

Überlege, welche Rolle spielt der andere/die anderen dabei.

Austausch in Kleingruppen

 

Erzählung Lukas 15 aus Sicht des Zuhausegebliebenen

 

 

 

Mein Tagebuch

Frühstück im Turm und ab auf die Pilgerbrücke. Ein Geburtstagsständchen für Gerlinde wird gesungen und der Regen hört auch schon auf. Bestes Laufwetter. Unterwegs sammeln wir ein neues Sträußchen für das Kreuz. Am Wegesrand können wir eine Gottesanbeterin bestaunen, passt irgendwie zum Thema. Wir kommen im Zielort an, in der großen Kirche halten wir Gottesdienst mit vielen bunten Lichtspielen der Fenster. Wollfäden spielen eine Rolle, stelle mir den bunten Pullover vor der daraus entstehen würde…Letzte Gelegenheit um die Verpflegung einzukaufen und dann geht’s ins Kloster! Wieder ein Highlight. Wir übernachten in sehr komfortablen Doppelzimmern. Eine sehr autoritäre Küchenseniorin bringt uns französischen Gehorsam und Pünktlichkeit bei. Scheint eine Ordensfrau zu sein. Im Hörsaal gibt`s Austausch und Informationen und der Tag klingt in der Bibliothek mit einem Gläschen Sekt aus. Gerlinde! A la Votre!!!

 

„Gott zieht nur an der Hand, der einen, der Teufel zieht an beiden Beinen.“ Wilhelm Busch

 

 

 

Tag 64

Donnerstag, 24.10.13

von Espalion nach Golinhac

35000→ 1237↑ 959↓

 

 

Thema: Bestimmung:  Selbstbestimmung – Fremdbestimmung

 

Ort: St. Pierre de Bessuejouls   Impulsbühne vor verschlossener Tür

 

Einleitung:  Die Kirche ist nach Petrus benannt.  Petrus bekam wie Jona einen merkwürdigen Auftrag, der zunächst sinnlos erscheint: Er sollte Menschenfischer werden. Während Jona vor seinem Auftrag flieht, geht Petrus ihn an, scheitert aber dann auch an seiner Angst und Feigheit.

 

Dialog Petrus mit Jona

 

Petrus: Herzlich willkommen vor dieser wunderschönen alten Kirche, die nach mir benannt ist. Ich habe sowieso den Auftrag, mich um Kirche zu kümmern, wie es Jesus mir gesagt hat.  – Mt 16,17-19: Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben, was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmelreich gelöst sein.

 

Jona:  Entschuldige bitte, ich komme gerade hier vorbei und habe gehört, was du gesagt und gelesen hast, und das hat mich sehr interessiert. Verzeihung, ich habe mich  gar nicht vorgestellt. Jona, Prophet, allerdings kein großer. Wer du bist weiß ich jetzt schon: Petrus, Apostel. Prophet und Apostel, das könnte zusammenpassen. Da hat man dir ja ein ganz schönes Päckchen aufgebürdet: Fels, auf dem die Kirche gebaut wird, Menschenfischer, viel zu viel und zu schwer für jemanden wie du und ich. Ich kenne das gut. Ich habe auch mal so einen unmöglichen Auftrag bekommen, Leuten, die mir völlig egal waren, unangenehme Botschaften zu überbringen. Nein, das war nichts für mich, nicht meine Sache, Ärger vorprogrammiert, viel zu groß für mich, warum gerade ich, da gäbe es bestimmt kompetentere. Jedenfalls gab es nur eines, Sachen packen und schleunigst verschwinden. Wie bist du denn Auftrag losgeworden? Was hast du gemacht?

 

Petrus: Ich fand die Aufgabe verlockend. Sie war natürlich groß und ich war stolz, dass ich sie bekommen hatte.

 

Jona: Und das hast du wirklich geschafft?

 

Petrus: Ich war der Fels, aber ich bin auch gescheitert. Vor allem, als ich vor Angst, selbst getötet zu werden, Jesus verleugnete.

 

Jona:  Gescheitert bin ich auch. Meine Flucht endete in einem Desaster.. Dann bekam ich den Auftrag wieder. Diesmal bin ich gegangen. Es war weiterhin nicht meine Sache und die Leute waren mir immer noch egal, aber ich musste ja, Alternativen sahen ja nicht gut aus für mich. Ja und dann geschah was ganz Verrücktes, die Leute haben mir geglaubt, jedes Wort von den Lippen gelesen, ich muss wohl richtig überzeugend gewesen sein, da kam so etwas wie ein prophetisches Feeling auf. Aber nur für kurze Zeit, dann war alles wieder ganz anders. Du bist mit deinem Auftrag irgendwie anders umgegangen, oder?

 

Petrus: Diese Bestimmung hat mich stark gemacht und ich habe sie zu meiner Sache, meiner Lebensaufgabe gemacht.

 

Jona:   Wenn ich dich so höre, dann war dies die Chance deines Lebens, für mich war das immer nur ein Befehl, der nichts mit mir zu tun hatte.

 

Petrus: Gerade das, was du in Ninive erlebt und erreicht hast, war ein echter Erfolg. Ich wäre begeistert, wenn meine Worte eine solch große Resonanz finden würden.

 

Jona:   Also wenn das damals bei mir die Chance meines Lebens gewesen wäre………dann habe ich sie verspielt    (wendet sich ab und will gehen)

 

Petrus:      (Hinweis auf Therapiestunde  ich kenn da eine Therapeutin…..)

 

 

 

Petrus wie Jona bekamen merkwürdige Aufträge, sie sind nur sehr verschieden damit umgegangen. Wir teilen euch gleich in 2 Gruppen ein und ihr bekommt auch einen merkwürdigen Auftrag  (Gruppeneinteilung durch alphabetischer Aufstellung).

 

Aufgabe:  Jede Gruppe bekommt eine Plane (3x2m). Diese Plane soll möglichst oft halbierend gefaltet werden, so dass immer noch alle Personen der Gruppe darauf passen, ohne dass ein Körperteil den Boden außerhalb der Plane berührt. Gewonnen hat, welche Gruppe die meisten Faltungen erreicht.

 

 

 

Impulsaufgaben für die Schweigestunde:

 

•    Wer/wie war ich in der Gruppe bei der Bewältigung unserer Aufgabe? Kenne ich diese Rolle?

 

Austausch nach einer Schweigestunde im Gehen zu zweit/dritt.

 

 

Es findet kein Gottesdienst statt, da die Strecke zu lang ist.

 

 

Mein Tagebuch

 

An einem Flüsschen entlang geht es heute durch ein altes Städtchen auf die Königsetappe: 35km, 1000 Höhenmeter und 700 wieder runter. Noch vor der Mittagspause treffen wir auf einen Schäfer der den Sohn auf der Schulter trägt. Wie selbstverständlich ist das Kind dabei. Der Mann und seine beiden Hunde bringen die Schafe auf die Weide. Einige humpeln und es riecht auch etwas. Sie und wir haben etwas Gemeinsames. Mittagspause ist hinter dem Ort Estaing (da kommt der ehemalige französische Präsident Giscard d´Estaing her!), an einem schönen Platz am Fluss. Der Ort mit dem Schloss sieht toll aus, wir würden ihn uns gerne ansehen, aber für diese Form von Kultur haben wir leider keine Zeit. Müssen wir noch mal wiederkommen. Also weiter. Den Berg hoch. Nach einem gehörigen Anstieg kommen wir auf einem Campingplatz an. Acht von uns werden in einer Gîte ausgelagert- Heinz macht das Taxi, im Laderaum war wohl richtig was los. Bei uns sind die Räumlichkeiten etwas beengt, aber alles gut. Abendessen ist in einem Restaurant um die Ecke. Dort ist der Tisch sehr schön eingedeckt und wir zählen das Besteck und somit die zu erwartenden Gänge des Menüs. Die Franzosen essen halt gern, wir auch.

 

 

„Ehre deinen Weg. Es war deine Wahl, deine Entscheidung, und in dem Maße, wie du den Boden achtest, über den du gehst, wird dieser Boden auch deine Füße achten. Tue immer das, was am besten für den Erhalt deines Weges ist, und er wird das Gleiche für dich tun..“ Paulo Coelho

 

 

 

 

Tag 65

Freitag, 25.10.13

von Golinhac nach Conques

25000→ 664↑ 1036↓

 

 

 

Thema:  Bestimmung als Lebensaufgabe:

 

Ort:  Lichtung in einem Wäldchen mit großem Stein, einem Altar ähnlich

Medium:  das Baumritual

 

Hinführung:

 

Ich könnte eure Aufgabe heute  morgen so beschreiben: nehmt euch das Blatt, sucht euch einen Baum, setzt euch mit dem Rücken dazu nieder, so wie auf dem Blatt beschrieben und schreibt eure Gedanken zu den Impulsaufgaben auf das Blatt nieder. Nehmt euch pro Aufgabe  rund  7 Minuten Zeit dafür. So seid ihr das gewohnt. Aber das tue ich heute nicht. Es gibt einen kleinen, aber feinen Unterschied. Ich erkläre euch das an einem Beispiel. Wenn ich meinen Pulli anfasse, dann gibt es 2 Betrachtungsweisen darauf. Ich könnte sagen, ich berühre  mit meiner Hand den Pulli. Ich könnte aber auch sagen, mein Pulli berührt mein Hand. Es ist derselbe Vorgang, aber von einer jeweils anderen Sichtweise aus beschrieben. Für das Baumritual heißt das: nicht ihr findet einen Baum, sondern lasst euch von einem Baum finden. Schaut, welcher Baum zieht euch zu sich. Zu diesem Baum geht und setzt euch nieder oder stellt euch zu ihm. Dann berührt ihr nicht mit eurem Rücken den Baumstamm, sondern der Baum berührt euren Rücken.

 

Dann kommen die Impulsaufgaben, im Norden:

•    Wer bin ich? Und hier schreibt ihr nicht auf, was ihr schon immer von euch gedacht habt, sondern hört, was der Baum zu euch dazu sagt: Wer ist das Wesen, das da vor mir, dem Baum, sitzt oder steht. Es ist sozusagen eine Außensicht auf euch. Nehmt euch wirklich die 7 Minuten Zeit dafür. Hört auf den Baum, vielleicht er noch mehr dazu zu sagen.

Dann die zweite Aufgabe im Süden:

•    Was ist meine Aufgabe? Auch hier lasst die Außensicht zu. Was hat dieses Wesen, das wir sind, für eine Lebensaufgabe? Was soll es tun?

 

Dann Aufgabe 3 im Osten:

•    Was will, darf und kann ich loslassen? Und auch hier lauscht, was der Baum zu sagen hat, der von seiner Sicht auf das belastete Wesen schaut, das sich mit so vielem Unnötigen quält.

Und schließlich im Westen:

•    Wohin führt mein Weg mit Herz? Wohin führt mein Weg in den nächsten Tagen, wenn ich wieder nach Hause komme, wohin in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren? Nicht nur die Wege der Notwendigkeiten und Verpflichtungen, sondern die Wege mit Herz, wofür mein Herz schlägt, für die ich Meilen laufen würde. Was sieht der Baum aus seiner Draufsicht, wohin geht es mit mir? Was sind meine Wünsche, meine Vorstellungen, Träume, Visionen? Seid darin unbescheiden .Lasst die Zensoren, die euch bremsen, es geht ja doch alles nicht, lasst sie los, falls ihr sie nicht schon vorher losgelassen habt.

 

Nach einer halben Stunde kommt ihr wieder zurück zum 2.Teil des Rituals.

 

Alles, was euch in der letzten halben Stunde geschenkt wurde, an Gedanken, Erkenntnissen, Wünschen, Vorstellungen, geschrieben oder nur im Kopf und Herz bewegt, all das  übergeben wir einer höheren Weisheit, wir Christen nennen diese Weisheit Gott, und von dort bekommen wir unser Leben zurück, vielleicht nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben, aber so, dass es gut und richtig für mich ist. Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine, sagt Jesus zu Gott, seinem Vater. Symbolisch tun wir dies, indem wir unser Blatt dem Feuer überantworten, dem Feuer der Läuterung und Reinigung und Verwandlung. Wer mag, darf auch einen Satz dazu sagen, vielleicht einen aus dem Weg mit Herz. Wir tun dies  in dem großen Vertrauen, das Bonhoeffer  einmal so formulierte:

 

Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich.

 

Wir gehen nach dem Ritual eine halbe Stunde schweigend zum Nachklingen. Einen Austausch gibt es nicht, es sei denn,  ihr organisiert dies selber.

 

 

Gottesdienst in der Kirche von St. Marcel

 

Einleitung: 

Ute: Unser Weg führte uns von Les Sétoux bis hierher – drei Kilometer vor Conques. Und wie Jona müssen nun auch wir überlegen, wohin uns  unser Weg nach dem Pilgern führt:

 

„Ist dieser Weg ein Weg mit Herz? Alle Wege sind gleich: sie führen nirgendwo hin. Ist es ein Weg mit Herz?

Wenn er es ist, ist er gut; wenn er es nicht ist, ist er nutzlos.

Beide Wege führen nirgendwo hin, aber einer ist der des Herzens, und der andere ist es nicht. Auf einem ist die Reise voller Freude, und solange du ihm folgst, bist du eins mit ihm. Der andere wird dich dein Leben verfluchen lassen. Der eine macht dich stark, der andere schwächt dich.

Ein Weg, der kein Herz hat, ist niemals schön. Du musst hart arbeiten, um ihn auch nur einzuschlagen. Andererseits ist ein Weg mit Herz sehr einfach; um ihn gerne zu haben, musst du nicht arbeiten.“

(Don Juan zu Carlos Castaneda)

 

Arnim:  Als klar war, dass wir uns in diesen Tagen Jona begleiten würde, fiel mir spontan ein Buch von Markus Zusak ein, „Der Joker“, eigentlich ein Jugendbuch. Der Protagonist, ein  junger Mann, der in einer australischen Großstadt, im sozialen Brennpunkt lebt , sich mehr schlecht als recht durchschlägt, ohne Perspektiven, bis er eines Tages eine Spielkarte (Karo-Ass) anonym zugespielt bekommt, auf der 3 Adressen stehen. Er geht schließlich dorthin und stellt fest, dass da viel zu tun wäre, viel Engagement gefragt wäre, aber er will nicht und wird dann unsanft davon „überzeugt“, dass er diesem Auftrag nicht aus dem Weg gehen kann. Jona lässt grüßen.. Aber im Gegensatz zu Jona macht der junge Mann diese Aufträge immer mehr zu seiner Sache, er wandelt sich dabei zu einem selbstbewussten und attraktiven jungen Mann. Er bekommt immer wieder eine neue Karte mit neuen Adressen; was zu tun ist, muss er aber immer selbst entscheiden, aber er stellt sich den Aufgaben. Ich will nicht mehr verraten, aber soviel: Am Schluss des Buches kommt er zu einer großen Erkenntnis.

 

 

Ich bin nicht der Überbringer von Botschaften, ich bin die Botschaft.

d.h. nicht nur, dass er sich mit den Botschaften identifiziert, sondern er selbst als Person ist eine Botschaft für die Welt. Er wird  ein Petrus. Diese Erkenntnis hätten wir Jona zutiefst gewünscht.

 

 

 

Tanz der 4 Himmelsrichtungen

Mit den Bewegungen

 

1.    Gehe deinen Weg, aber gehe ihn auch, bestimmt, direkt und klar.

2.    Geben und Nehmen

3.    Gehe deinen Weg mit Herz

4.    Was will durch mich in die Welt kommen?  Ausstreuen.

 

 

 

Tag 66

Samstag, 26.10.13

von Conques nach Baunatal

18 Stunden im Bus

 

 

Mein Tagebuch

 

Letzte Etappe. Kaum zu fassen. Wehmut schwingt mit. Ein letztes Mal machen wir uns auf den Weg und haben eine besondere Begegnung. Mit einem Baum. Jeder mit einem Eigenen. Der hat uns was gesagt! Die Antworten des Baumes durften wir nicht behalten. In einer Feuerzeremonie gaben wir sie wieder frei. Versuch zu verstehen. Daran arbeiten. Letzter Gottesdienst unterwegs. Wir tanzen mit Arnim. Alles ist anders und doch gleich. Dann ist es so weit, wir sind in Conques- Ein surreales Gefühl. Gar nicht echt, nicht wirklich. Die Zeit  schon vorbei? Wir sind doch gerade erst losgegangen! Die Kathedrale ist sehr angenehm. Singend ziehen wir ein und fallen uns dann in die Arme. Wir sind da!!! Ein Priester würgt unsere Freude etwas ab, wir sind in der Zeit der Stille gekommen. Damit ist es jetzt jedenfalls vorbei. Unsere Freude ist trotzdem riesengroß und wir genießen den Augenblick! Draußen beschauen wir uns das Tympanon nochmal genauer. Bisher haben wir nur Abbildungen gesehen, jetzt stehen wir vor dem Original. Beeindruckend! Zum Abschlussfest gehen wir in ein Restaurant in der Nähe. Nach kurzer Katzenwäsche und frischen Klamotten sitzen wir glücklich zusammen. Unsere Neuen, die jetzt gar keine Neuen mehr sind, bekommen noch die Pilgermuschel umgehängt. Ein besonderer Moment! Die Stimmung ist gelöst und der Abend könnte so weitergehen. Aber um 23:00 Uhr steht der Bus zur Abfahrt bereit. Im Bus wird der Geräuschpegel langsam leiser. Die Beine tun weh, blöd, man läuft doch gar nicht…18 Stunden Fahrt liegen vor uns. In Karlsruhe verlassen uns die ersten Pilger, weitere in der Wetterau. Abschied auf Raten. Draußen ändert sich die Landschaft. Bei uns ist es auch sehr schön. Manchmal muss man wegfahren um wieder anzukommen. Letzter Abschied in Baunatal. Heftig. Die Pilger sind wieder da!!!

 

 

 

 Gedanken einer Pilgerin

„Pilgerst du diesen Herbst wieder? Das ist ja schon ein bisschen verrückt!“

Diesen Satz habe ich schon oft gehört, von Bekannten, Arbeitskollegen, Verwandten, die auf mein Projekt mit Staunen, Neugier, Skepsis und zum Teil auch Bewunderung reagieren. Eine gewisse Faszination geht aus von der Idee, die jahrhundertealte Tradition des Jakobspilgerns aufzunehmen und sich auf den Weg zu machen – rund 2500 km in etwa 10 Jahren, quer durch Europa.

Als ich mich zur ersten Etappe von Würzburg nach Heubach anmeldete, gab es gemischte Gefühle bei mir: Einerseits große Vorfreude und Begeisterung, andererseits auch die Angst vor dem Zusammenleben mit so vielen fremden Menschen auf engstem Raum, dem Verlust von Privatsphäre und den Bequemlichkeiten des Alltags. Aber ich bin der Faszination des Pilgerns bereits beim ersten Mal erlegen und spüre sie immer wieder neu, auch wenn ich jedes Mal im Herbst, kurz bevor es losgeht, überlege, warum ich das freiwillig auf mich nehme.

Konkret heißt das: Aufstehen zumeist zwischen 5 und 6 Uhr morgens, dann rollt jeder seine Matte und seinen Schlafsack ein und packt seine Sachen. Nach Luthers Morgensegen und einem gemeinsamen Lied wird gefrühstückt, dann Aufbruch. Irgendwann am Vormittag ein thematischer Impuls, verbunden mit Fragen, über die in einer anschließenden einstündigen Schweigephase nachgedacht wird. Zum Thema und den Fragen gibt es später einen Austausch, manchmal zu zweit im Gehen, oft in Kleingruppen.

Mehrmals am Tag gibt es Pausen, bei denen wir zum Teil von unseren Fahrern mit den Begleitfahrzeugen mit frischem Obst, Getränken und selbstgemachter, köstlicher Quarkspeise versorgt werden. Nach 20-30 km am Tag kommen wir am späten Nachmittag im jeweiligen Quartier an, richten die Schlafplätze ein und freuen uns über die mehr oder weniger vorhandenen Möglichkeiten, sich den Schweiß und den Dreck von der Haut zu spülen, manchmal auch nur ein Waschbecken und zwei Toiletten für 40 Pilger.

Nach dem Abendessen folgt unser Gottesdienst, den die jeweils für das Tagesthema Verantwortlichen aus dem Leitungsteam vorbereitet haben. Immer werden inhaltliche Schwerpunkte des Tages nochmals vertieft, mit Gedanken aus den Austauschrunden ergänzt. Das Kernstück des Gottesdienstes ist die Feier des Abendmahls, das wir bewusst als Gemeinschaftsmahl begehen, indem wir rund um den Altar stehen und uns nach dem Friedensgruß gegenseitig Brot und Wein weiterreichen.

Der Abend endet mit einer Feedbackrunde, in der jeder ein „Resonanzwort“ für den Tag nennt und positive oder auch negative Kritik anbringen kann, gemeinsamem Singen und Luthers Abendsegen.

Was das Pilgern für mich so wertvoll und besonders macht, sind vor allem drei Aspekte:

•    Ich begebe mich bewusst in einen Zustand, in dem ich mich jenseits aller üblichen alltäglichen Gewohnheiten und Lebensumstände befinde. Ich empfinde mich in dieser Zeit als „draußen“  - und dieser Perspektivwechsel schärft den Blick und ist heilsam.

•    Wenn das Gehen meine einzige Aufgabe ist und ich von vielen Pflichten und Ablenkungen befreit bin, gelange ich zu einer größeren Achtsamkeit, sowohl gegenüber dem Außen als auch dem Innen. Ich spüre intensiv meinen Körper, die manchmal schmerzenden Füße und Muskeln, die Natur um mich herum, nehme andere Menschen aufmerksamer wahr. Aber auch meine eigenen Gedanken und Gefühle treten stärker in Bewusstsein, manches, das ich sonst verdränge und das mir dann auf einmal sehr nahe kommt.

•    Der tägliche Umgang mit den Widrigkeiten des Wetters, des Weges und den Eigenarten meiner Mitpilger ist eine besondere Übung in Gelassenheit und Toleranz. Indem ich dem, was mir im Verlauf des Weges begegnet immer weniger Widerstand entgegensetze, erfahre ich, wie gut es ein kann, mich selbst und meine Vorstellungen vom Leben immer mehr loszulassen und auf Gott zu vertrauen.

Auf diese Weise komme ich von jeder Etappe des Pilgerwegs ein wenig anders zurück, als ich losgelaufen bin und habe nicht nur einen äußeren, sondern auch einen inneren Weg bewältigt.

              

 

 

Die eigentliche Herausforderung

„Der Pilgerweg hat ein Ziel und ein Ende, der Lebensweg aber geht weiter. Die eigentliche Herausforderung ist die Heimkehr. Ich gehe den Weg, auf dem ich aufgebrochen bin, jetzt weiter, nicht geographisch, sondern in meinem Leben. Ich erkenne, dass ich Überflüssiges weglassen, Ballast abwerfen kann, um leichter weiterzugehen.

Nach dem Glück am Ziel der Pilgerfahrt kommt die eigentliche Aufgabe: die Familie und den Alltag neu zu finden.“                  Abt Odilo Lechner OSB, 2009

 

 

 

Der Tag X 

Golinhac – über Espeyrac – Bergdorf Sénergues – nach Conques

 

Pilgern: jeden Tag sich auf den Weg, die Gruppe, die Impulse einlassen.

Seinen eigenen Rhythmus finden: aufstehen, einpacken, frühstücken, losgehen, ankommen, auspacken, Gottesdienst, essen, schlafen, aufstehen, einpacken....

Und dann: der Tag X und sein besonderer Impuls: die Idee eines Teamers:

„können Bäume sprechen?“-  wird zu meiner Frage: „können Berge sprechen?“

An diesem Morgen hatten wir die Aufgabe, uns im Wald von einem Baum finden zu lassen. Dieser sollte Antworten auf Fragen geben.

Der Baum sollte mich finden – aber irgendwie hatte es nicht wirklich funktioniert. Ich saß mit dem Rücken zum Baumstamm und versuchte Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Hatte der Baum wirklich zu mir gesprochen?

Anschließend ging es weiter auf dem Weg:

Es musste noch ein langer steiler Anstieg bis zur Mittagspause überwunden werden.

Der Berg stand vor mir.

Stunden vorher versuchte ich mich von einem Baum finden lassen. Jetzt stand ich vor einem der letzten Anstiege: dem Berg.  und dieser Berg fand mich!

Dieser Berg kam mir entgegen, lief einfach unter meinen Füßen hindurch, - nicht ich lief, sondern der Berg lief mich!

Ich bin diesen Berg mit einer Leichtigkeit und einem für mich perfekten Rhythmus hinaufgegangen, als wäre ich nie freier, harmonischer mit der Natur, mit Gott und allem um mich herum gewesen als jemals zuvor...

Ich war nicht nur als Erster auf dem Berg angekommen, sondern bei mir selbst angekommen auf meinem Weg angekommen.

Heinz und Uwe empfingen mich euphorisch.  Die beiden eher, weil sie vermuteten, alle anderen Pilger würden gleich folgen. Ich, froh, auf der richtigen Fährte gewesen zu sein, und weil nun ein für mich besonderer Teil – mein Weg – der Etappe geschafft war!

Dieses Erlebnis macht für mich das Pilgern aus!

 

Es ist nicht nur eine Suche, sondern manchmal auch ein Finden:

diese wunderbare Erfahrung des Hochgefühls, Freiheit, Glück, Zufriedenheit, Harmonie mit sich selbst und allem...

Der eine Moment, in dem ich die Nähe Gottes spüre.

 

Pilgern verrückt das Leben und die Sichtweise dazu:

Telefonat eines Pilgers

Frankreich – Deutschland

 

Deutschland - Freitag, mitten während der Arbeit klingelt das Telefon: Ferngespräch

Frankreich -Hallo, was machst Du gerade?

Deutschland -Arbeiten!?!

Frankreich - Wir sind bei der Mittagspause

Deutschland - Um zwei Uhr Nachmittags?

Frankreich - Heute ist ein Wahnsinnstag! Ich bin der Gruppe davon gelaufen – einfach so!  Du kannst es Dir nicht vorstellen: der Berg hat mit mir gesprochen!

Deutschland - Alles klar! Geht’s Dir gut?

Frankreich - So gut, wie noch nie!

Nach dieser kurzen Mitteilung und des Auflegens des Hörers dachte ich:

Toll! , jetzt  hat es ihn erwischt: das Pilgervirus!

 

Lothar und Sabine Brennecke

 

 

 

Hallo Günter,

 

Ich bin dankbar für das Geschenk, das ich bekommen habe: nämlich mit Euch "auf dem Weg" gewesen - und immer noch sein zu dürfen.

Die zwei Wochen mit Euch waren für mich in ganz vielen Dingen überraschender, bewegender, beindruckender und das eine oder andere Mal auch ein wenig verstörender, als ich es mir hätte ausmalen können.

Ich muss gestehen: ich war nicht vorbereitet.

Wie Du in Deiner Mail schreibst:"...Eindrücke, Gespräche, Bilder, Begegnungen und Erlebnisse..." werden auch mich begleiten. Aber hat man die nicht auch im Alltag oder im (normalen) Urlaub? -  Ja, hat man; Aber

für mich waren sie in den Tagen auf dem "Weg"  irgendwie intensiver, vielschichtiger, deutlicher und manchmal auch schmerzhafter (nicht nur wegen der malträtierten Füße) als alltäglich.

Warum?

Vielleicht bedeutet "pilgern": "Weniger abgelenkt sein vom Wesentlichen" oder "Freiheit der Wahrnehmung durch Verzicht" oder "Intensität durch Nähe" oder "Gefühl durch Gemeinsamkeit" oder, oder , oder... ??!

 

Warum oder was auch immer: ICH BIN SEHR DANKBAR FÜR DIE WOCHEN MIT DIR/EUCH. Es war einfach toll in vieler Hinsicht und wird mich nie verlassen.

 

 

Liebe Grüße

Uwe Arend

 

 

   

HNA

vom 13.10.13

 

Beten auf Bergkämmen

Baunataler Pilger zur fünften Etappe gestartet

 

Baunatal. Pilgern bedeutet geistige Einkehr, ein Zu-sich-selbst-Kommen in der Stille. Das werden die Teilnehmer der von der Gethsemane-Gemeinde veranstalteten, fünften Etappe ihrer Pilgertour auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela ausgiebig genießen können:

 

Die Etappe führe über die Höhenzüge des Massif Central in Mittelfrankreich und durch häufig fast menschenleere Gegenden, sagt Pfarrer Günter Törner.

 

Der Geistliche ist am frühen Samstagmorgen mit dem Bus und 27 Pilgern aus Baunatal und verschiedenen Orten Deutschlands nach Les Sétoux aufgebrochen. Dort endete im vergangenen Jahr die vierte Etappe. Ihr Weg wird sie von diesem kleinen Ort auf bis zu 1600 Meter hohe Bergkämme führen. Gut möglich, dass sie dort schon Schneeflocken erwarten. Heinz Arend wird im Kleinbus das Gepäck der Wanderer und das Abendmahl-Geschirr für den täglichen Gottesdienst transportieren. Der Rentner hat gleich zwei Navigationsgeräte mitgenommen, damit er die Pilgergruppe im Notfall in dem unwegsamen Gelände schnell findet.

 

Diejenigen Pilger, die bisher den Küchendienst für die Gruppe versehen haben, können diesmal entspannt mitwandern: Die Pilger kochen erstmals nicht selbst, sondern lassen sich in Pilgerherbergen abends mit warmen Mahlzeiten verköstigen. Törner hat diesmal ausschließlich Herbergen gebucht, wo die Teilnehmer Duschen und ein Bett erwarten. Vergangenes Jahr übernachteten die Pilger in Gemeindehäusern und sogar auf einem Campingplatz. Nun dürfte es für alle etwas komfortabler sein. Wo die Gottesdienste abgehalten werden, muss Törner von Fall zu Fall sehen. „Wir schauen, wo Kirchen geöffnet sind“, sagt er.

 

Langsam bekommen die Baunataler Pilger Übung: Am Anfang habe es wegen müder Füße oft schon nach einer Stunde der bis zu 36 Kilometer langen Teiletappen Probleme gegeben. „Das hat sich geändert“, sagt Törner. Bei kleinen Wehwehchen würden sich die Wanderer gegenseitig helfen. Sollte jemand Zahnprobleme bekommen, steht Heide Bahr, die Zahnarzthelferin, mit einer Notfallausrüstung bereit.

 

Am Ziel in Conques werden die Pilger die dortige berühmte Kirche besichtigen und nach einer kleinen Feier noch in der gleichen Nacht nach Baunatal zurückkehren.

 

Von Peter Dilling

 

 

 HNA

vom 23.10.13

 

Pilgern mit Jona im Wal

Wanderung der Kirchengemeinde Baunatal Mitte: 294 Kilometer bis Conques

 

Baunatal. Am diesjährigen Startpunkt ihrer Reise wurden die 27 Pilger aus Baunatal und anderen Städten Deutschlands von schneebedeckten Bergen empfangen. Kein ideales Wetter für eine Tour, die in 13 Tagen über 294 Kilometer durch Frankreich zum Zielort Conques führen sollte.

 

Etwa 1000 Kilometer hat die Gruppe bereits in den letzten vier Jahren vom Startpunkt Würzburg aus in mehreren Etappen zurückgelegt.

 

In diesen Jahren hat die Gruppe sich weitgehend selbst versorgt und in Gemeindehäusern auf dem Boden übernachtet. Da mit Beginn der neuen Etappe auch einer der Hauptwege nach Santiago de Compostela beginnt, ist es nun auch möglich, in Herbergen für Pilger zu übernachten. Im Ort Le Puy, dem Ziel der dritten Tagesetappe, bündeln sich wie bei einer Sternfahrt verschiedene Wege aus Europa zu einem Hauptweg nach Santiago.

 

Zwei Lavafelsen mit Kirche

Le Puy ist ein berühmter Ort für Marienwallfahrten. Markant ist das äußere Erscheinungsbild der Stadt: Mitten in einem Vulkangebiet liegend ragen zwei Lavafelsen mit einer Kirche und einer Marienstatue über die Dächer der Stadt. Auch der Weg durch die Region Auvergne ist geprägt von grandiosen Aussichten auf verschiedene erloschene Vulkane. Für den Pilger bedeutet dies allerdings zusätzliche Anstrengung, weil viele dieser Berge überwunden werden wollen.

 

Mit dem Wandern allein geben sich die Pilger aber nicht zufrieden. Jeden Tag gibt Impulse zu einem Thema. Dieses Jahr beschäftigte sich die Gruppe mit der Geschichte von Jona im Wal. Das Verschlungenwerden, Untertauchen und „neu geboren werden“ Jonas sind Facetten der Erzählung, die Anknüpfungspunkte zum Gespräch über eigene Lebenserfahrungen bieten. Als fester Bestandteil des Pilgerns hat sich in diesem Zusammenhang eine Zeit des Schweigens, in der die Impulse überdacht werden und eine Zeit des Austausches in kleinen Gruppen etabliert.

 

Tägliche Andacht

In einem täglichen Gottesdienst, der unterwegs in einer der vielen Kirchen oder am Zielort der Tagesetappe gefeiert wird, findet das Thema seinen Abrundung.

 

Die häufig langen Tage fanden ihren Abschluss in einer gemeinsamen Feedbackrunde. Bei Temperaturen von über zwanzig Grad lief es sich auch für Pilger gleich viel besser. (nh)

 

Der Bericht wurde uns von der Gruppe direkt aus Frankreich übermittelt.

 

 

 

HNA

vom 31.10.13

 

Singend in die Kathedrale

Pilgergruppe der Kirchengemeinde Baunatal-Mitte absolvierte 5. Jakobsweg-Etappe

 

Baunatal/Conques. Strahlende Gesichter, Umarmungen und hin und wieder gar Tränen - der Einzug der 27 Pilger der Kirchengemeinde Baunatal-Mitte in das französische Conques war für die Wanderer auf der 5. Etappe des Jakobswegs ein ganz besonderer Moment. Bewegend war auch der Augenblick, als die Baunataler Gruppe mit blumengeschmückten Kreuz und dem Pilgerlied: „Meine Hoffnung und meine Freude“ auf den Lippen in die Kathedrale einzog. Die Gruppe, die 2009 in Würzburg gestartet ist, hat mit der Ankunft in Conques bereits 1350 Kilometer – also mehr als die Hälfte der Gesamtstrecke – zurückgelegt

„Auch wenn viele Abläufe des Pilgerns den Teilnehmern aus der Kirchengemeinde Baunatal-Mitte und anderen Orten Deutschlands bereits vertraut sind, bietet doch jede Etappe wieder neue Erlebnisse und Herausforderungen“, sagt Pfarrer Günter Törner.

 

Die Beschäftigung mit einem biblischen Text, diesmal dem Buch Jona aus dem Alten Testament, sei Ausgangspunkt für neue Erfahrungen, Auseinandersetzungen mit eigenen Themen oder anregenden Gesprächen untereinander gewesen. Besondere Höhepunkte auf dem Weg stellten die vielen romanischen Kirchen dar. „Fast schien es, als seien sie nur für uns gebaut worden“, berichtet Törner. Die Türen standen seien stets geöffnet gewesen. „Weit und breit gab es niemanden, der daran Anstoß genommen hätte, dass wir unseren täglichen Abendmahlsgottesdienst darin gefeiert haben. Der Gesang unserer Lieder wurde durch die wunderbare Architektur in hervorragender Weise unterstützt“, sagt der Baunataler Pfarrer.

 

Zurück im Alltag

Nach Abschluss der Pilgertour gelte es, wieder zurückzufinden in den Alltag und die Erfahrungen wirken zu lassen. „Vom Pilgern kommt man nie so zurück, wie man losgegangen ist“, weiß Törner.