ABHOLDIENST
Die Mitarbeit in diesem Gemeindekreis ist spannend, sie schenkt ein Gefühl der Zufriedenheit und auch der Demut.
Nach der Fertigstellung unserer Gethsemanekirche besuchten immer wieder behinderte Menschen die Gottesdienste - Bewohner des zum Areal der Kirchengemeinde Baunatal-Mitte gehörenden Wohnheims der Baunataler Diakonie Kassel, die dort ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben.
Unter ihnen gibt es auch Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer, die der Hilfe bedürfen, wollen sie von einem Ort zum anderen gelangen. Das ist im Baunataler Alltag zu beobachten, wenn einzelne Gruppen Behinderter spazieren gehen oder auf dem Weg ins Einkaufszentrum sind und dabei von Betreuern begleitet werden.
In den Gottesdiensten war gerade dieser Personenkreis relativ wenig zu sehen. Das fiel den Gottesdienstbesuchern unserer Gemeinde auf und so entstand die Idee, an die Leitung des Wohnheims mit der Frage heranzutreten, inwieweit wir Hilfe anbieten könnten, um einerseits den betreffenden Personen den Besuch von Gottesdiensten zu ermöglichen und andererseits das Pflegepersonal des Wohnheims kurzfristig zu entlasten.
Das Angebot wurde gerne angenommen und die Vereinbarung getroffen, dass ein Mal im Monat die Abholung durch uns erfolgen soll. Wir, das sind zur Zeit fünf Personen, die zwei Teams bilden und abwechselnd, jeweils am zweiten Sonntag im Monat, Behinderte, die das wollen, zur Kirche und nach dem Gottesdienst, den sie jeweils aufmerksam, manchmal auch amüsiert, verfolgen, wieder zum Wohnheim zurück bringen.
Die Zusammensetzung der zu begleitenden Gruppen sowie der Grad der Behinderung ihrer Mitglieder ist jeweils unterschiedlich:
Da ist der auf Grund einer Spastik hilflose Schwerstbehinderte, der sich nur mühsam artikulieren kann und Wert darauf legt, sein für die Kollekte vorgesehenes Geld, das ihm von dem Begleiter aus seiner Tasche oder dem Brustbeutel genommen wird, selbst einzulegen – auch wenn ihm das enorm schwer fällt.



Durch seine Sprachstörung war es anfangs schwierig, ihn zu verstehen, was ihn teils unwillig machte und sichtlich ärgerte. Inzwischen haben wir uns aneinander gewöhnt, die Verständigung klappt so gut, dass wir uns über den Fernsehfilm, der am vorangegangenen Samstag gezeigt wurde – er sieht mit Vorliebe Krimis – unterhalten können. Aber nicht nur das Fernsehprogramm ist Gegenstand der Unterhaltung, sondern mittlerweile auch Persönliches. An diesen Beispielen mag man das zwischen dem Betreuten und den Mitarbeitern des Gemeindekreises gewachsene Vertrauen erkennen.
Zu den treuesten Gottesdienstbesuchern gehört u.a. eine junge Frau, die begeisterte Malerin ist und im vergangenen Jahr einen Preis erhalten hat, der ihr in Berlin übergeben wurde, was sie natürlich besonders stolz machte und sie begeistert darüber berichten ließ.
Nahezu regelmäßig geht ein Herr mit uns, der ein bewundernswertes Gedächtnis besitzt – die Fähigkeit, ihm einmalig genannte Daten zu behalten und jederzeit abzurufen. Gleiches gilt für Kalendertage, denen er beinahe auf Anhieb den jeweiligen Wochentag zuzuordnen vermag.
Diese Begabungen zu erkennen, macht mitunter sprachlos und manchmal etwas neidisch. Sie zeigen uns ganz deutlich, wie wertvoll und liebenswert diese Menschen sind und wie wichtig es ist, uns für sie einzusetzen. Die Akzeptanz, die wir von ihnen erfahren, zeigt sich besonders in der herzlichen Art und Weise, auf die wir am Sonntagmorgen begrüßt werden – und zwar auch von den Nichtkirchgängern.
Gustav Rieß